Das älteste Gasthaus von Paris war eine Schwatzbude. Heute ist das Lokal «Le Procope» aus dem Jahr 1686 ein feines Restaurant im Quartier Latin, in einer Seitenstrasse des Boulevards Saint Germain. Ausser einer Inschrift deutet nichts darauf hin, dass hier Geistesgeschichte der Aufklärung geschrieben wurde von Philosophen wie Denis Diderot oder Voltaire, die hier bei Kaffee und Wein über Gott und vor allem die Welt diskutierten.
Radikaler Aufklärer und überzeugter Atheist
In diesen Kreis gehörte eine Figur, die heute in Vergessenheit geraten ist: Julien Offray de La Mettrie, genannt die «Maschine» (1709–1751). Er war ein radikaler Aufklärer, lehnte Autoritäten ab, konsequenterweise auch die philosophischen Grössen seiner Zeit. Zudem war er ein Atheist und der festen Überzeugung, dass der Mensch ein dysfunktionaler Haufen Materie ist. Seele, Leben nach dem Tod und göttliche Vorsehung waren ihm ein Gräuel.
Wer das im 18. Jahrhundert unverblümt zu Papier brachte, wusste allerdings, dass er sich damit Schwierigkeiten einhandelte. Der Philosoph de La Mettrie blieb aber stur, denn er erkannte so früh wie kein anderer: Die Religion ist die Wurzel des menschlichen Dramas auf dieser Welt. In ihrem Namen werden viele Scheusslichkeiten begangen.
Der österreichische Historiker Bernd Schuchter stellt nun in einem neuen Buch diesen Galgenvogel des Geistes vor unter dem Titel «Herr Maschine oder vom wunderlichen Leben und Sterben des Julien Offray de La Mettrie». Der Tod muss hier erwähnt sein, weil der Mann ein absonderliches Ende fand. Er verbrachte seine letzten Jahre als Hofnarr des preussischen Königs Friedrich II. in Potsdam. Bei einem Dinner soll er so viel Pastete in sich hineingestopft haben, dass er nach ein paar qualvollen Stunden das Zeitliche segnete.
Die Geschichte ist zu schön, um wahr zu sein. Autor Schuchter hegt die Vermutung, dass de La Mettrie vergiftet wurde. Denn er machte sich in seinem kurzen Leben unzählige Feinde, die guten Grund hatten, ihn über den Jordan zu schicken. Wie auch immer, im Kaffeehaus «Le Procope» werden die Philosophengenossen auf den im entfernten Potsdam Verblichenen mit Freude angestossen haben.
Rebellion gegen alles und jeden
Die grösste Freude wird sein Erzfeind Albrecht von Haller verspürt haben: Der Schweizer Gelehrte verstand sich als Naturwissenschaftler und glaubte dennoch an Gott. Für de La Mettrie war das ein Widerspruch, über den er sich schriftlich und mündlich während Jahren mokierte. Albrecht von Haller verstand die Vorwürfe exakt so, wie sie gemeint waren – wie um alles in der Welt kann ein angeblich Gebildeter so dämlich sein, muss sich de La Metrrie gedacht haben.
Julien Offray kam aus der Provinz. Er wuchs in St. Malo auf und zeichnete sich durch einen besonders dicken Bretonenschädel aus. In seiner Jugend deutete jedoch wenig auf seine spätere Rebellion gegen alles und jeden hin. Er liess sich zum Arzt ausbilden und nahm sich mit Umsicht seiner Patienten an. Die medizinischen Koryphäen jener Zeit waren in seinen Augen jedoch Quacksalber, die sich mehr nach dem Aberglauben richteten als nach wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn. Damit lag de La Mettrie zwar richtig, begründete jedoch seinen Ruf als Querulant.
Buch
Bernd Schuchter
Herr Maschine oder vom wunderlichen Leben und Sterben des Julien Offray de La Mettrie
174 Seiten
(Braumüller 2018)