Das Ende der Heldin war für die Zeitgenossen bewegend: «Und als man sie ganz tot an den Pfahl gebunden gesehen hatte, da schürte der Henker das Feuer wieder hoch über ihre arme Leiche …» Mit diesen Worten beschrieb ein anonymer Beobachter den Tod der 19-jährigen Jeanne d’Arc 1431 auf einem Scheiterhaufen im damals englischen Rouen. Sie ging als «Jungfrau von Orléans» in die abendländische Geschichte ein. Die Märtyrerin gilt heute als französische Nationalheilige, weil sie im Hundertjährigen Krieg erfolgreich gegen die englischen Besatzer und die mit ihnen verbündeten Burgunder kämpfte.
Heilige oder im Dienst des Leibhaftigen?
Man stelle sich vor: Ein Teenager aus der lothringischen Bauernschaft ruft zum bewaffneten Kampf gegen eine Okkupation auf und befreit als Heeresführerin wenig später die Stadt Orléans von der englisch-burgundischen Belagerung. Sie tritt als politisch versierte Akteurin in einem für die damalige Zeit schier unendlich langen Konflikt auf, und sie vollbringt als Heilerin Wunder. Ist diese Frau eine Heilige, oder steht sie im Dienst des Leibhaftigen? Die Frage entzweite ihre Zeitgenossen. Jeanne d’Arc wurde wegen Ketzerei zum Tod verurteilt, mehr als 20 Jahre nach der Hinrichtung allerdings rehabilitiert.
Der deutsche Historiker Gerd Krumeich zeichnet in einer neuen Biografie ein gültiges Bild von Jeanne d’Arc unter dem Titel «Seherin, Kriegerin, Heilige». Sie ist für ihn eine aussergewöhnliche Kämpferin, die Bewunderung verdient, weil sie sich unerschrocken für ihre politische Gesinnung einsetzte und durch ungewöhnliche Frömmigkeit aufgefallen war. Dem damaligen Zeitgeist entsprechend galt sie als «Jungfrau». Das war nicht zwingend auf ihren Lebenswandel gemünzt, sondern sollte sie als eine von Gott Auserwählte kennzeichnen, die mit Heiligen in direkter Verbindung stand, wie sie an ihrem Verdammungsprozess aussagte.
Litt sie unter einer Hysterie? «Uns sollte genügen, dass Jeanne d’Arc zweifellos Stimmen hörte, die sie aufforderten, Orléans zu befreien.» Diese Eingebungen brachten sie dazu, mit unglaublicher Hartnäckigkeit um den Zugang zum damaligen französischen König Karl VII. zu kämpfen und später dessen Feinde in die Flucht zu schlagen. In einem «Brief an die Engländer» rief sie diese auf, unverzüglich auf ihre Insel zurückzukehren: «Übergebt die Schlüssel aller guten Städte, die Ihr in Frankreich eingenommen und geschändet habt.» Wie sie den Brief aufgesetzt hat, bleibt unklar. Sie war eine Analphabetin.
Politische Projektionsfläche
Jeanne d’Arc trug mit Vorliebe Männerkleidung, was beim Inquisitionsprozess von Rouen als Zeichen für einen Pakt gesehen wurde, den sie mit dem Beelzebub eingegangen sei. Plausibler ist, dass diese Verkleidung sie vor ihren Widersachern schützte. Zumindest so lange, bis die Burgunder sie gefangen hatten und den Engländern auslieferten.
Im Lauf der Jahrhunderte diente Jeanne d’Arc immer wieder als politische Projektionsfläche, zum Beispiel Napoleon, der ihr national-revolutionäres Potenzial erkannte. Politische Parteien, linke wie rechte, beriefen sich später immer wieder auf sie. Auch die katholische Kirche versöhnte sich mit ihr und sprach sie 1920 heilig. Jeanne d’Arc vollbrachte angeblich auch unerklärliche Heilungen. Einzig den französischen Revolutionären war sie suspekt – zu fromm, lautete deren Befund.
Buch
Gerd Krumeich
Jeanne d’Arc – Seherin, Kriegerin, Heilige
399 Seiten
(C. H. Beck 2021)