Ihr Befund über den Mann aus feministischer Sicht ist klar: «Nichts hält ihn auf, niemand setzt ihm Grenzen.» Diesen Satz hat die französische Philosophin Simone de Beauvoir (1908– 1986) in ihrem Bekenntnis «Das andere Geschlecht» geschrieben, das sie weltberühmt machte.
Jetzt erinnert eine Biografie mit dem Titel «Simone de Beauvoir – Ein modernes Leben» der britischen Dozentin Kate Kirkpatrick an das private und das öffentliche Leben der französischen Philosophin. Die Autorin befreit Simone de Beauvoir vom Klischee der unnahbaren Intellektuellen, die mit ihren Mitmenschen unerbittlich sein konnte. Sie schildert sie vielmehr als eine verletzliche Person, die sich in vertrackte Lebenskonstellationen verstrickte, aus denen sie mitunter kaum herausfand.
Ein grosses Herz für viele
So liebte die junge Simone de Beauvoir etwa drei Männer gleichzeitig. Sie war in ihren Kommilitonen René «Lama» Maheu verliebt und gleichzeitig in dessen Freund Jean-Paul Sartre, beiden sollte sie lebenslang verbunden bleiben. Dazu gesellte sich ihr Cousin, der Glasmaler Jacques Champigneulle: «In ihrem Herzen war sie sich gewiss, dass sie Sartre liebte, dass sie das Lama liebte und dass sie auch Jacques liebte, jeden auf unterschiedliche Weise.» Unklar war ihr aber, wie die drei Lieben miteinander zu versöhnen waren.
Solche Konstellationen mögen der Nachwelt fast 100 Jahre später unerheblich erscheinen – zu Unrecht. Denn sie spiegeln das Freiheitsdilemma der Existenzialistin. Simone de Beauvoir war der Überzeugung, dass der Mensch theoretisch die Freiheit hat, zwischen allen denkbaren Möglichkeiten zu wählen. Aber unglücklicherweise fehlt ihm oft die Macht dazu.
Die Autorin Kirkpatrick erinnert an den berühmten Pakt, den de Beauvoir und Sartre 1929 als junge Menschen im Pariser Jardin du Luxembourg getroffen hatten. Sie erkannten, dass zur Liebe neben der intellektuellen Freiheit auch das Recht gehörte, andere Beziehungen einzugehen. Voraussetzung dafür war eine «absolute Ehrlichkeit» gegenüber dem Partner. Diese Übereinkunft erwies sich zwar für die philosophisch-politischen Arbeiten des Paars als stabil genug. Die beiden verstanden sich gemäss Kirkpatrick nie als Rivalen. Beziehungsmässig waren jedoch beide heillos überfordert. Sartre litt immer wieder unter Depressionen, auch de Beauvoir kam mit sich oftmals nicht zurecht. Zumal amouröse Eskapaden mit anderen Frauen ihr ohnehin schon reges Liebesleben belasteten.
Anschuldigung wegen Verführung
Im Einzelfall führte das zu heiklen Konstellationen. So legte die Mutter der jungen de-Beauvoir-Gefährtin Nathalie Sorokine beim Bildungsministerium Beschwerde ein. Sie wollte die Lehrerin ihrer Tochter loswerden, weil diese sie «zu Ausschweifungen» angehalten hätte. Denn «Mlle de Beauvoir» habe ihre 20-jährige Tochter verführt und sie später zwei Männern mit denselben Absichten vorgestellt. Die Sache verlief im Sand, anscheinend plagten die Behörden zur deutschen Besatzungszeit andere Sorgen.
Buch
Kate Kirkpatrick
Simone de Beauvoir – Ein modernes Leben
523 Seiten
(Piper 2020)