Im Herbst 1927 war Otto Wacker auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn. Aus dem ehemaligen Tänzer war ein anerkanntes Mitglied der Berliner Kunsthandelsszene geworden. Wacker hatte eine eigene Galerie an bester Lage. «Zu jenem Zeitpunkt hatte niemand nur den leisesten Verdacht, dass der elegante Kollege mit den feinen Anzügen ein Betrüger sein könnte», heisst es im Buch «Der van Gogh-Coup».
Die deutschen Kunstmarktexperten Nora und Stefan Koldehoff rollen in dieser Ende 2019 erschienenen Biografie einen spektakulären Kriminalfall aus der Weimarer Republik neu auf. Sie erzählen die aussergewöhnliche Lebensgeschichte eines Schlawiners, der es verstand, sich durch die Unbilden der Zeit zu mogeln. Wacker setzte jahrelang mit Erfolg gefälschte Ölbilder von van Gogh ab.
Eine clever erfundene Geschichte
Der Rheinländer Otto Wacker (1898–1970) war in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg ein Tänzer, der in Berlin unter dem Pseudonym Olindo Lovaël eine gewisse Anerkennung genoss. Schon damals musste er neben seinem öffentlichen Leben eine klandestine Existenz führen. Denn Wacker lebte mit seinem Lebenspartner Erich Gratkowski zusammen, doch Homosexualität war damals verboten.
Der Sohn eines Kunstmalers widmete sich ab 1925 dem Gemäldehandel. Der schicke Herr wollte seine Van-Gogh-Gemälde von einem Russen gekauft haben, der sie angeblich nach der Revolution zur Sicherheit in die Schweiz geschmuggelt hatte. Der Name des Lieferanten müsse jedoch geheim bleiben, damit seine Familie in Russland keine Repressalien erfahren würde. Abwegig war die Geschichte nicht, denn tatsächlich brachten in den 20er-Jahren viele Russen ihren Besitz in den Westen.
Eine Mitarbeiterin der Berliner Galerie Cassirer schöpfte 1928 als erste Verdacht, nachdem Wacker sechs Bilder für eine Van-Gogh-Ausstellung angeliefert hatte: «Irgendetwas störte sie an dem Ensemble, das noch am Boden stand: Mindestens vier Gemälde wirkten trotz ihrer Motive unter den übrigen Werken fehl am Platze.»
Akademische Eitelkeiten und viel Geld
Dabei blieb es vorderhand, denn Wacker hatte Echtheitsatteste für seine Ware – Zertifikate, die er bei den Sachverständigen selbst bezahlte. Unklar ist, ob diese bewusst oder unbewusst falsche Beurkundungen ausstellten. Jedenfalls kauften sie im Einzelfall selbst offenkundig gefälschte Werke auf, um so zu «beweisen», dass es sich um «echte» van Goghs handelte.
In der Folge entspann sich ein Expertenstreit: Es ging um akademische Eitelkeiten und viel Geld. All das beeindruckte Wacker nicht. Wenn er ein Werk verkaufen wollte, war es echt – zumindest für ihn. Erst zu Beginn des Gerichtsprozesses am 6. April 1932 in Berlin dämmerte ihm, dass es knüppeldick kommen könnte. Tatsächlich musste er nach einem Schuldspruch bis 1935 einsitzen. Als Wacker die Haftanstalt verlassen konnte, war van Gogh unter den Nazis zwar kein verfemter Künstler, aber er galt als verrückt.
Bleibt die Frage: Wer hatte die Bilder gefälscht? Das konnte die Polizei nie zweifelsfrei ermitteln. Sehr wahrscheinlich ist, dass Wackers Vater Hans, der Kunstmaler, und sein Bruder Leonhard hinter dem Schwindel standen.
Buch
Nora und Stefan Koldehoff
Der van Gogh-Coup. Otto Wackers Aufstieg und Fall
220 Seiten
(Nimbus 2019)