Drei Frauen in Hosen, eine gar frech mit einer Zigarettenkippe im Mundwinkel. Das war nicht ladylike, das war frivol. Die Fotografie war mit dem vielsagenden Titel «Die Halbstarken, sind wir das wirklich?» versehen und sollte 1960 für mehr Verständnis gegenüber Zürcher Jugendlichen werben. Denn die drei jungen Frauen wirkten auf die Leserschaft der Zeitschrift «Heim und Leben» provokativ.
Man spürte damals die anstehenden gesellschaftlichen Veränderungen, wie auch das Bild mit dem US-amerikanischen Wagen und den Kühen belegt: Hier treffen sich die alte und die neue Schweiz, die Romantik des Agrarstaats steht der Sehnsucht nach Wohlstand entgegen.
Familienzeitschrift
«Heim und Leben» war eine 1932 gegründete Familienzeitschrift, die sich bis 1966 halten konnte. Der Luzerner Verlag C.J. Bucher gab das Blatt heraus, zusammen mit dem «Illustrierten Familienfreund» und der Westschweizer Zeitschrift «L’Abeille». Der Verlag führte ein umfangreiches Bildarchiv, um seine Publikationen zu versorgen. Renommierte Fotografen wie Theo Frey, Robert Gnant oder der Polizeireporter Arnold Odermatt lieferten das Material.
Das Museum im Bellpark in Kriens vermittelt nun in einer Ausstellung einen wohl dokumentierten Überblick dieser fotografischen Arbeiten sowie einen Einblick in die alten Nummern von «Heim und Leben». Der Besucher erhält einen zwiespältigen Eindruck der Schweiz von gestern: Die Blattmacher vermittelten das Bild eines harmonischen, stets auf Ausgleich bedachten Landes. Der konfrontative Journalismus war noch nicht entdeckt. Die ersten Nummern zu Beginn der 30er-Jahre waren etwas politischer als die späten Ausgaben in den 60ern.
Kritische Töne
Typisch war eine Kriegsreportage in der «Heim und Leben»-Ausgabe vom 18. Februar 1933: Man sieht Kolonialgebäude in Ruinen, davor ein paar unkenntliche Zivilisten. Das war gemäss Bildunterschrift die südchinesische Stadt Shaukaiwan nach der japanischen Besetzung 1932. Der Bericht handelt von «Japans Greueltaten in China. Bereits treffen bei uns Bilder ein von den Folgen der rücksichtslosen Feuergefechte.» Dem Betrachter wird gleich klar, wer der Aggressor ist und wer das Opfer, aber es fehlen polemische Töne.
In jenen Tagen waren in Deutschland die Nationalsozialisten noch keinen Monat an der Macht. Aber im ungezeichneten Editorial wird die «Hitlerei in Deutschland» bereits kritisch vermerkt. Und das zu einem Zeitpunkt, als viele glaubten, die neue Regierung in Berlin werde so kurzlebig sein wie alle andern vor ihr in der Weimarer Republik.
Viel Unkommentiertes
Ganz anders eine Nummer von «Heim und Leben» im Juni 1953. Politische Inhalte fehlen fast durchwegs oder sie werden im Einzelfall verniedlicht, selbst wenn sie aus heutiger Sicht alarmierend waren. So sollte ein verschwommenes Wolkenbild von einer harmlosen Explosion zeugen: «Erster Versuch mit Atomartillerie in der Wüste von Nevada» heisst es dazu. Die Meldung bleibt unkommentiert, man hat sich an die Bombe gewöhnt. Auch etwas Kalter Krieg ist spürbar. Über einem Männerporträt steht «Amerikanischer Journalist in Prag als Spion freigelassen». Die folgenden Zeilen lassen keine Zweifel offen, dass der Mann ein Opfer staatlicher Willkür war.
Zehn Jahre später fehlen selbst solche Meldungen. Dafür nimmt eine Reportage über kochende Männer grossen Platz ein, dies war offenbar ein damals exotisches Geschehen. Von einem Kochkurs für Männer wird berichtet, geleitet vom ehemaligen Kommunisten und späteren Fernsehkoch C.F. Vaucher aus Basel, dessen rote Vergangenheit verschwiegen wird: «Wenn man bedenkt, dass noch vor sieben Jahren die Männer nur heimlich, verschämt, gezwungenerweise oder berufsmässig zur Kelle griffen …» Dazu sind Bilder von eleganten Herren zu sehen, die eher hinter einen Bankschalter als in eine Küche passten.
Schöne Kleidung wurde mit dem aufkommenden Wohlstand in den 60er-Jahren zunehmend erschwinglich. Eine Modereportage mit «Deux pièces» für die moderne Frau mitsamt Schnittmuster zeigen, was damals schick war – etwa knapp bedeckte Damenknies. Und der Journalismus hatte die versteckte Werbung entdeckt – mit einem zweiseitigen redaktionellen Autoquiz. Da mussten die Leser beweisen, dass sie Automarken unterscheiden können. «Wo ist die Heimat dieses Autos?», steht neben einem Peugoet-Modell, «Amerika, Italien, Frankreich».
Anspruchsvoller ist da eine lange Reportage über den heute längst vergessenen Ostschweizer Künstler Yargo de Luca. Der Mann war ein Schüler des wegweisenden Modernisten Willi Baumeister.
Farbdruck – das Ende
1966 ging «Heim und Leben» an die «Annabelle», das Luzerner Blatt passte dorthin, es war zusehends zu einer Frauen-Illustrierten mutiert. Im letzten Editorial heisst es bedauernd, dass der Verlag C.J. Bucher leider nicht in der Lage sei, farbig zu drucken. Gerade das wünschten jedoch die modernen Leserinnen.
Heim und Leben
Aus dem Fotoarchiv einer Illustrierten
Sa, 24.8.–So, 3.11.
Museum im Bellpark Kriens LU