kulturtipp: Sie haben für Ihr Buch «Die schönsten Brockis der Schweiz» im ganzen Land Brockenhäuser besucht. Was haben Sie über diese Welt gelernt?
David Knobel: Man trifft in den Brockis vor allem viele interessante Menschen.
Iris Becher: Die Menschen sind für ein Brocki fast wichtiger als die Räume oder was verkauft wird. Ursprünglich wollten wir von der Atmosphäre und den Geschichten hinter den angebotenen Objekten erzählen. Doch nach und nach kam die Idee auf, das Brocki als sozialen Ort zu zeigen. Es ist Treffpunkt für Kunden aus unterschiedlichen sozialen Milieus – das finde ich sehr interessant.
Herr Knobel, Sie arbeiten selber in einem Brocki. Was bedeutet Ihnen diese Arbeit?
Knobel: Sie ist sehr erfüllend. Ich weiss, ich arbeite dem Ressourcen-Verschwenden entgegen.
Becher: Und du erlebst die Geschichten.
Knobel: Bei Haushaltsauflösungen begeben wir uns in die Lebensgeschichten der Menschen. Manchmal liegen die letzten paar Monate, in denen jemand nicht mehr die Kraft hatte, aufzuräumen, wie eine traurige Decke über dem ganzen Haushalt. Aber darunter leuchten die Gegenstände hervor, die von den glücklichen Momenten eines Lebens erzählen.
Weshalb haben Brockis heute diesen Kult-Status?
Becher: Ich glaube, die Menschen mögen das «Lädele». Und erst recht in der speziellen Atmosphäre eines Brockenhauses.
Knobel: Gewöhnliche Läden sind ja meist durchgestylt und auf möglichst viel Umsatz ausgerichtet. Das merken die Menschen. Im Brocki bereitet das «Lädele» Vergnügen.
Erhoffen wir uns nicht immer auch einen speziellen Fund?
Becher: Auf jeden Fall.
Knobel: Oder ein Schnäppchen.
Iris Becher: Ja, aber vor allem Objekte, die etwas auslösen. Man entdeckt zum Beispiel ein Kaffeeservice mit einem Muster, das an die Bettdecke aus der Kindheit erinnert.
Knobel: Ich fand kürzlich eine Coco de Mer – eine Meeresnuss, die es nur auf den Seychellen gibt, wo ich vor 15 Jahren mal in den Ferien war.
Wir mögen die Geschichten zu Objekten.
Becher: Heute mehr denn je, wo viele Waren austauschbar geworden sind. Wir suchen das Authentische.
Die Idee des Brockenhauses stammt aus Deutschland. Ein Erfolg wurde das Konzept aber in der Schweiz. Weshalb?
Knobel: Wir leben in einem Überfluss, der die Brockis überhaupt erst befeuert.
Becher: Die Schweiz blieb von zwei Weltkriegen verschont. Es existieren also viel mehr alte Objekte. Wichtig ist sicher auch die starke karitative Tradition des Landes.
Das Buch trifft auch den Nerv der Zeit: Nachhaltigkeit ist in aller Munde.
Knobel: Das Brocki hält Gegenstände am Leben – das ist ja eigentlich genau die Idee der heutigen Zero-Waste-Bewegung, die möglichst ohne Abfall leben will.
Becher: Wobei sich diese Bewegung Zero Waste momentan vor allem auf verpackungslose Läden und wiederverwendbare Bienenwachstücher fokussiert. Dabei beginnt Zero Waste im Brocki.
Welche Auswirkungen haben Retro-Trends und Upcycling, das Wiederverwenden von Möbeln oder Kleidern?
Knobel: Wir erleben seit ein paar Jahren einen wahren Brocki-Boom. Vor allem gibt es mehr Brockis, die sich wirtschaftlich über Wasser halten können. Gleichzeitig sieht man aber, dass Institutionen wie das Zürcher Brockenhaus schon fast Möbelhäuser geworden sind, die auch teure Stücke verkaufen.
Becher: Es gibt mittlerweile auch Brockis, die viel zukaufen, weil sie ein gewisses Niveau halten müssen.
Welche Auswirkungen hat das auf Brockis, die karitativ tätig sind?
Becher: Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen dem Anspruch, integrative Arbeit zu leisten und den Erfordernissen des Marktes gerecht zu werden. Bei einigen Brockis haben wir herausgehört, dass es schwieriger wird, ausgesuchte Objekte, anspruchsvollere Kundschaft und die Idee halbgeschützter Arbeitsplätze zu verbinden.
Knobel: Ich glaube aber, dass gerade das Bewusstsein um karitativ tätige Brockis viele Menschen dazu bewegt, bei einer Wohnungsräumung Gegenstände nicht einfach wegzuschmeissen.
Wie beeinflusst die Digitalisierung die Brockis?
Becher: Einerseits bereichern sich Onlinehandel und Brockenhäuser gegenseitig. Andererseits sind die Preise durch den digitalen Markt undurchsichtiger geworden. Ein Trend, von dem uns viele Brocki-Besitzer berichteten: Bei Haushaltsauflösungen stellen die Angehörigen die wertigeren Gegenstände gleich selber ins Internet. Was dann noch übrig ist, kann das Brocki abholen. Das ist ein Problem.
Mein Lieblingsbrocki war immer das Zürcher Brocki-Land in der Tiefgarage an der Steinstrasse. Welche Rolle spielt die Örtlichkeit für ein Brocki?
Becher: Wir wünschen uns eine gewisse Atmosphäre. Oft ist es aber so: Je schöner das Brocki, desto höher das Preisniveau. Vermutlich macht man die richtig guten Funde noch immer am ehesten in einem dieser Brockis in einer grossen Wellblechhalle.
Knobel: Interessant ist ja auch, dass viele florierende Brockis alte Gebäude am Leben erhalten: eine alte Lastwagen-Werkstadt in Bern, eine Backsteinfabrik in Degersheim, ein Jugendstilgebäude in Zürich. Ohne die Brockis wären viele davon schon längst Stahl- und Glasbauten gewichen.
Buch
Sasi Subramaniam, Iris Becher, David Knobel
Die schönsten Brockis der Schweiz
220 Seiten
(AS Verlag 2019)
Brockis mit besonderem Charme
Das Bücher-Brocky
Ein Kunstbuch? Eine DVD? Ein Gesellschaftsspiel? Im Bücher-Brocky lässt es sich in Ruhe schmökern und stöbern.
Ruopigenstrasse 18, Luzern
www.buecher-brocky.ch
OneWay-Brockenhaus
In einem wunderbar bemalten Haus mitten in Altdorf finden sich vier Stockwerke voller Bijous und kurliger Gegenstände.
Hellgasse 4, Altdorf UR
www.oneway-brockenhaus.ch
Brockenhaus Brünig
Es gilt als legendärstes Brocki der Schweiz: Das Brockenhaus von Grümpel-Sepp auf dem Brünigpass.
Passhöhe, Brünig BE
www.bruenigsepp.ch
BrockenReich
Einst arbeitete Stefan Utiger im Büro, heute führt er mit seinem BrockenReich in Köniz ein sehr charmantes Brocki.
Sonnenweg 22, Köniz BE
www.brockenreich.ch
Brocki-Land Zürich
Vielleicht nicht das schönste, aber sicherlich eines der spannendsten Brockis der Schweiz: Das Brocki-Land in der Tiefgarage an der Zürcher Steinstrasse.
Steinstrasse 68, Zürich
www.brockilandag.ch
Brocki auf dem Wolf
Wer hierhin kommt, sollte Zeit mitbringen: Im Brocki auf dem Wolf gibt es nichts, was es nicht gibt – und davon ordentlich.
Auf dem Wolf 30, Basel
www.brockiwolf.ch