Da ringt einer um Applaus – leider von der falschen Seite: Emil Nolde (1867–1956) distanzierte sich vor Kriegsausbruch deutlich von der Londoner Ausstellung «Exhibition of Twentieth Century German Art». Diese zeigte im Sommer 1938 rund 300 Meisterwerke moderner deutscher Kunst, darunter auch Bilder von Nolde. Doch der Expressionist war offenkundig der Meinung, dass diese Schau (unter jüdischer Führung) zu einer Art Demonstrations-Ausstellung ausgebaut werden sollte. «Davon will Nolde nichts wissen und sich nicht beteiligen», steht deutsch und deutlich in einem Schreiben, das der Schweizer Rechtsprofessor Hans Fehr an den damaligen deutschen Staatssekretär Ernst von Weizsäcker richtete – im Namen Noldes wohlverstanden.
Die Briten und ihr Verhältnis zu Emil Nolde
Der neue Bildband «London 1938» erinnert nun mit Werken der dort ausgestellten Künstler an diese Schau. Sie sollte dem britischen Publikum zeigen, dass Deutschland künstlerisch mehr zu bieten hatte als die faschistische Monumentalkunst, die den Machtanspruch der Nationalsozialisten legitimieren wollte. Neben Gemälden von Nolde waren Künstler wie Max Liebermann, Wassily Kandinsky oder Oskar Kokoschka vertreten.
Emil Nolde verkörperte ein Paradox der damaligen Zeit: Die Nationalsozialisten diffamierten seinen eigenständigen Expressionismus in der berühmten Münchner Ausstellung «Entartete Kunst» von 1937, wo Nolde im Mittelpunkt stand. Die Briten erkannten dagegen den Wert seines Schaffens, das er ihnen aus ideologischen Gründen vorenthalten wollte – vergeblich allerdings. Denn gegen seinen Willen waren in London Bilder wie «Junger Gelehrter» (1918) oder «Blue Iris» («Blaue Schwertlilien» (1915) zu sehen. «Auf die Möglichkeit, dass Leihgaben ihm nicht bekannter Besitzer in der Ausstellung gezeigt wurden, hatte er dagegen keinen Einfluss», schreibt die Kunsthistorikerin Aya Soika in einem Aufsatz über Nolde im Bildband «London 1938».
Noldes Bilder in London erwiesen sich in der Nachkriegszeit als Segen: «Die Assoziation Noldes mit dieser Ausstellung (…) fügt sich nahtlos ein in das tradierte Narrativ von Nolde als einem Künstler, der in erster Linie Leidtragender der nationalsozialistischen Kulturpolitik war», hält Soika fest. Doch die kritisierte Lesart ist nicht gänzlich falsch: Denn die Nazi-Kulturpolitiker setzten Noldes Werke immer wieder auf den Index.
Ringen um Anerkennung der Nazis
Nolde selbst war deshalb gekränkt, weil er sich dem Regime verbunden fühlte. In seinem Ringen um die Anerkennung der Nazis schrieb er ein paar Tage vor der Eröffnung der Londoner Ausstellung an Propagandaminister Joseph Goebbels persönlich. Nolde erinnerte diesen, er habe «vor Beginn der Nationalsozialistischen Bewegung als fast einziger deutscher Künstler im offenen Kampf gegen die Überfremdung der deutschen Kunst und gegen das unsaubere Kunsthändlertum gekämpft», womit er jüdische Kunsthändler meinte. Noldes Intervention war zunächst erfolglos. Seine Kunst wurde weiterhin abgelehnt. Erst im Dezember 1938 gab das Propagandaministerium die für Nolde erlösende Weisung heraus: «Der Maler Emil Nolde ist kein Jude … er ist sogar Pg.» Das Kürzel steht für Parteigenosse.
Buch
Lucy Wasensteiner, Martin Faass (Hg.)
London 1938 – mit Kandinsky, Lieber-mann und Nolde gegen Hitler
264 S., (Nimbus Verlag 2018)