«Eine Absage wäre jetzt das Schlimmste.» Bettina Oberli sitzt in der Kantine des Luzerner Theaters am Tag, als der Bundesrat die Massnahmen in Sachen Corona-Virus verschärft hat. Nach einem halben Jahr Vorbereitung steht die Premiere ihrer neuesten Regiearbeit an: «Eugen Onegin», Peter Tschaikowskys Oper nach dem Stück von Alexander Puschkin. «Zumindest einmal soll sie gespielt werden», hofft Oberli fast flehentlich.
Ungebrochene Liebe zum Kino
Die 47-jährige Regisseurin ist sich Echo gewohnt. Ihre Filme laufen weltweit an Festivals und erreichen das grosse Kinopublikum. «Die Herbstzeitlosen» von 2006 ist immer noch der zweiterfolgreichste Schweizer Film nach «Die Schweizermacher». Schon für ihr Debüt «Im Nordwind» gewann sie 2004 diverse Preise. Mit dem Thriller «Tannöd» hat sie 2010 den gesamten deutschsprachigen Raum erobert, mit dem Jura-Drama «Le vent tourne» 2018 den frankophonen.
Warum hat Oberli überhaupt vom Kino zur Bühne gewechselt? «Vor sieben Jahren konnte ich am Theater Basel ‹Anna Karenina› inszenieren», erzählt sie. Das sei ein solch nachhaltiges Erlebnis gewesen, dass sie die Opern-Anfrage aus Luzern mit einem «sofortigen Ja» beantworte habe. «Jeder Filmregisseur leidet darunter, dass für seine eigentliche Arbeit wegen des grossen technischen Aufwands zu wenig Zeit bleibt. Bei Bühnenproben kann man stundenlang konzentriert mit den Schauspielern arbeiten.» Oberli verweist aber auch auf Ähnlichkeiten von Film und Oper. «In beiden Fällen arbeitet man visuell, kreiert Atmosphären mittels Bildern.» Die Musik gebe zwar einen klaren Rahmen vor, lasse aber die Freiheit, diesen mit eigenen Bildern auszufüllen. Ähnliches gelte für die Textarbeit: «Während sich meine Drehbücher jeweils bis zum letzten Schnitt ändern, habe ich hier mit einem bewährten Libretto gearbeitet und konnte mich auf dessen visuelle Umsetzung konzentrieren.»
Ist da die Leidenschaft einer künftigen Opernregisseurin zu hören? «Ich nehms, wies kommt», lacht Bettina Oberli, betont dann aber ihre ungebrochene Liebe zum Kino. Und verweist auf «Wanda, mein Wunder». So heisst Oberlis neuer Spielfilm, der bald im Wettbewerb des Tribeca Film Festivals in New York läuft und im Herbst in die Schweizer Kinos kommt.
Die vielseitige Produktivität dieser Frau ist beeindruckend: 2019 hat sie noch den Kurzfilm «Kingdom» realisiert, bereits sind neue Projekte in Arbeit, die meisten ihrer Drehbücher initiiert sie selbst und schreibt zumindest als Co-Autorin mit. Derweil sitzen in Zürich, wo die Bernerin seit 25 Jahren lebt, zwei Teenagersöhne mit am Familientisch. Bleibt ihr da überhaupt noch Zeit für eigenen Kulturgenuss? Die Antwort erstaunt nicht: «Ich lese viel. Und ich gehe oft ins Kino.» Und demnächst hoffentlich an die eigene Opern-Premiere.
Eugen Onegin
Premiere: Sa, 21.3., 19.30
Luzerner Theater
Bettina Oberlis Kulturtipps
Buch
Nadja Spiegelman: Was nie geschehen ist (Aufbau 2018)
«Die Mutter-Tochter-Beziehung über mehrere Generationen hinweg entwickelt einen starken emotionalen Sog und ist so persönlich, dass eine Ebene entsteht, in der man sich selber wiedererkennt.»
CD
Cat Power: Wanderer
(Domino Records 2018)
«Diese Musik habe ich beim Schreiben meines letzten Films im Dauerloop gehört. Ideal, um in eine kreative Stimmung zu kommen.»
Serie
Lisa Cholodenko: Olive Kitteridge (Warner Home Video 2015)
«Die Miniserie betört mit fantastischen Schauspielerinnen wie Frances McDormand als verbitterte Mathelehrerin.»