Bestseller: Witz als Widerstand
Das autobiografische Buch von Mely Kiyak über eine innige Vater-TochterBeziehung ist tieftraurig und verzweifelt komisch zugleich.
Inhalt
Kulturtipp 10/24
Babina Cathomen
Mein Vater geht wie eine betrunkene Ballerina. Weder trinkt er, noch kann er tanzen. Er versucht, beim Laufen einfach nicht umzukippen.» Mit diesem starken Bild beginnt die deutsche Autorin und Journalistin ihr Buch mit dem passenden Titel «Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an». Denn Herr Kiyak hat Lungenkrebs. Jahrzehntelang hat er als Gastarbeiter in Deutschland Kupferkabel mit giftigem Lack überzogen.
Den Lebensabend wollte...
Mein Vater geht wie eine betrunkene Ballerina. Weder trinkt er, noch kann er tanzen. Er versucht, beim Laufen einfach nicht umzukippen.» Mit diesem starken Bild beginnt die deutsche Autorin und Journalistin ihr Buch mit dem passenden Titel «Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an». Denn Herr Kiyak hat Lungenkrebs. Jahrzehntelang hat er als Gastarbeiter in Deutschland Kupferkabel mit giftigem Lack überzogen.
Den Lebensabend wollte er mit seiner Liebsten in der türkischen Heimat verbringen – bis er bei einem Besuch bei seiner Tochter in Berlin die niederschmetternde ärztliche Diagnose erhält. «Mein Vater stirbt, und ich weiss nicht wie das geht», beschreibt Mely Kiyak ihre Gefühle, die zwischen Trauer, Angst, Verzweiflung, Ohnmacht, Erschöpfung und Wut schwanken. Ihr Lebensinhalt wird das Überleben des geliebten Papas. Sie bringt ihm täglich frisches Essen ins Spital in der Mark Brandenburg, das sie als kalt und unmenschlich empfindet.
Den verzagten Vater ermutigt sie, obwohl ihr selbst angst und bange ist, und den Pflegern und Ärztinnen macht sie Dampf, damit die Behandlung im unübersichtlichen Spitalapparat vorangeht. Unterbrochen wird dieser gemeinsame Kampf ums Überleben von den Geschichten, die ihr der Papa von seiner kurdisch-alevitischen Familie im ostanatolischen Bingöl erzählt: Räubergeschichten voller Fabulier- und Abenteuerlust, die einer anderen Welt entstammen.
Und die zeigen, in welch gegensätzlichem Umfeld die Tochter lebt, die in Deutschland Karriere gemacht hat. Was die beiden verbindet, ist ihr Sinn für zuweilen ganz schön bösen Humor, der auch in den traurigsten Momenten hervorbricht. «Witz als Widerstand», dieses Prinzip hat Mely Kiyak schon in ihrem autobiografischen Essay «Frausein» angewendet. Mit «Herr Kiyak …» trifft sie erneut mitten ins Herz.
Buch
Mely Kiyak
Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an
224 Seiten
(Hanser 2024)