Darf es eine Dosis «Nooluvolch» (Dummköpfe) sein? Dann kommt dieser Roman gerade richtig, auch wenn die ersten Sätze nichts Gutes verheissen: «Es ist kein Unglück, im Wallis geboren zu sein. Ein besonderes Glück ist es aber auch nicht.» Wilfried Meichtrys Roman «Nach oben sinken» ist eine Coming-of-Age-Geschichte, angereichert mit autobiografischen Elementen.

Der Walliser Autor und Historiker, der schon die Vorlagen und Drehbücher für Filme wie «Von Werra» (2002) und «Verliebte Feinde» (2012) besorgte, geht hier zur persönlichen Rückschau über – und das ist von bewegender Qualität. Denn Meichtry blickt mit kraftvoller Sprache auf einen namenlosen Knaben (und später Jugendlichen), der in einer erstickenden katholischen Enge aufwächst. Immer wieder stellt er Fragen zur eigenen Familie und stösst dabei auf eine Mauer des Schweigens.

Bloss kein Aufsehen erregen, ist die heilige Devise seiner Familie. Klar, dass sich der Bub bald allerlei Fluchtfantasien zurechtzimmert, die wiederum den Zorn der Obrigkeiten nach sich ziehen. Besonders interessiert er sich für einen verschwundenen Grossonkel, dessen Name sogar vom Grabstein abgeschliffen wurde. Es sind durchaus klassische Muster, die Meichtry benutzt.

Zugleich versteht er es aber, die Spannung hochzuhalten, seine eigene Geschichte einzuweben und den notorischen Eskapismus seines Protagonisten in unterschiedlichen Phasen wiederzugeben – mal als manischer Winnetou-Fan, mal als Schafhirt weitab des würgenden katholischen Zugriffs. Der Buchtitel passt zur Feigheit der Mächtigen: Als eine Gruppe Walliser Dorfbarone einen alten Trinker mit Sprüchen traktiert, muss der sie an ihr unziemliches Gebaren erinnern: «Meine Herren! Man kann auch nach oben sinken!»

Buch
Wilfried Meichtry

Nach oben sinken
256 Seiten
(Nagel & Kimche 2023)