Die Buchhandlungen in New York oder London öffneten ihre Tore bereits um Mitternacht, um das neue Buch der Irin Sally Rooney zu feiern. Schliesslich haben sich ihre ersten drei Romane weltweit millionenfach verkauft. Doch was ist dran am Rooney-Hype, der auch die Schweiz erfasst hat?
«Intermezzo» handelt von zwei Brüdern in Dublin, die nach dem Tod des Vaters aus dem Lot geraten sind, sich aber – einander in Hassliebe zugetan – gegenseitig nicht unterstützen können. Da ist der erfolgreiche, aber auch medikamentenabhängige Anwalt Peter. Der 32-Jährige schwankt zwischen zwei Frauen: der jungen Hausbesetzerin Naomi, mit der ihn aufregender Sex verbindet.
Und seiner Jugendliebe Sylvia, einer an chronischen Schmerzen leidenden Professorin, mit der er tiefe Gespräche führt. Der 22-jährige Ivan ist das Gegenteil seines smarten Bruders: Der Fingernägel kauende Schach-Nerd fühlt sich in sozialen Belangen gehemmt. Als er die 14 Jahre ältere Margaret kennenlernt, entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte.
Rooney findet für die Brüder ihre je eigene Sprache: Peters Gefühlswelt beschreibt sie im stakkatoartigen, assoziativen Gedankenstrom, der an James Joyces «Ulysses» erinnert. Für Ivan lässt sie sich in bedächtigen Sätzen mehr Zeit.
Ivan ist denn auch die interessantere Figur, während Peter und seine Beziehungen zumindest anfangs konventionell bis klischeehaft angelegt sind und durch sexuelle Unterwerfungsfantasien irritieren.
Wie immer kreisen Sally Rooneys Romane um die Emotionen und Reflexionen ihrer Figuren. Es geht um Abhängigkeiten und Machtverhältnisse zwischen Liebenden und Familienangehörigen, um Einsamkeit und Trauerbewältigung.
Das ist ausschweifend und detailreich, aber sehr unterhaltend, geradezu soghaft. Und wie die Autorin die Dynamik von Beziehungen in feinen Beobachtungen, durch kleine Gesten und Alltagsszenen untermauert, ist eine Kunst für sich, die nicht so viele beherrschen.
Sally Rooney
Intermezzo
Aus dem Englischen von Zoë Beck
496 Seiten
(Claassen 2024)