Wut, Ekel, Hass auf sich selbst und auf alle andern – man kennt es gut von Virginie Despentes. Stets blitzt aus ihren Werken dieser Underdog-Überdruss hervor. Doch im aktuellen Werk «Liebes Arschloch» scheint die einstige Skandalautorin («Baisemoi ») noch etwas anderes umgetrieben zu haben als blosse Schnoddrigkeiten. Zunächst beschimpft der Schriftsteller Oscar die fast 50-jährige Schauspielerin Rebecca, die er einst vergötterte: «Verlebt, schlechte Haut, ein schmuddeliges lautes Weibsstück », bellt er auf Instagram.

Aber dann wird Oscar nicht nur von Rebecca kalt erwischt, sondern auch von seiner Vergangenheit eingeholt, genauer: von der einstigen Verlagsassistentin Zoé, die er nach allen Regeln der Lust drangsalierte. Im Alkoholrausch hat er das freilich vergessen. Nun macht ihm Zoé auf ihrem feministischen Blog die Hölle heiss. Das schmeckt nach MeToo-Schlagabtausch à la française, und Despentes mixt das clever: Sie bündelt quasi das schlechte Gewissen einer mit sexuellen Freizügigkeiten imprägnierten Nation und trägt die feministischen Debatten bis in den Lockdown hinein. Als  «kilometer- langen» Mailroman zwischen Oscar und Rebecca, unterbrochen nur von Social-Media-Sperrfeuern der inzwischen arbeitslosen Assistentin.

Mag sein, dass das zuweilen etwas holzhammermässig wirkt, doch unterhaltsam ist es allemal. Die arrivierte Autorin hatte angekündigt, sie habe ein optimistisches Buch für die coronageplagte Leserschaft schreiben wollen. Nur setzt das voraus, dass man ausufernde Abhandlungen über Drogen und Sex, Drogen und Selbstmitleid, Drogen und Drogenentzug als optimistisch empfindet.

Buch
Virginie Despentes - Liebes Arschloch
336 Seiten (Kiepenheuer & Witsch 2023)