Es ist ein vergessener Meister des deutschen Stummfilms, den Daniel Kehlmann zur Hauptfigur seines neuen Romans gemacht hat. «Lichtspiel» erzählt die Geschichte des Regisseurs Georg Wilhelm Pabst (1885–1967), der nach einer glücklosen Episode in Hollywood 1936 nach Europa zurückkehrte und seine Karriere auch unter dem nationalsozialistischen Regime fortsetzte. Dieser umgekehrten Emigrationsgeschichte eines politisch dezidiert linken Künstlers und seinem umstrittenen Wirken in der NS-Zeit gilt das vorrangige Interesse des Buchs.

Es setzt sich aus einer Vielzahl wechselnder Erzählperspektiven zusammen, unter anderem der von Pabsts Ehefrau Trude, die dem Regisseur nur widerstrebend «heim ins Reich» folgt und ihm mehrmals ins Gewissen redet. Kehlmann hat penibel recherchiert. Es mangelt nicht an prominenten Gastauftritten von Greta Garbo bis Leni Riefenstahl, doch als Romancier erlaubt er es sich auch, Namen zu verfremden und Charaktere zu erfinden.

Unaufhaltsam strebt die Handlung auf die grosse Leerstelle in Pabsts Œuvre zu: den Film «Molander», der 1944/45 in Prag entsteht, aber nicht vollendet werden kann. Die atemlose Flucht des Regisseurs und seines Assistenten aus der Stadt wird sozusagen zum Filmdreh. Pabst gibt sich selbst Regieanweisungen und verstolpert sich auf dem Weg zum Bahnhof gänzlich in der alternativen Realität seiner Kunst: «In der letzten Einstellung sind wir von rechts nach links. Wenn wir jetzt die andere Richtung … Das geht nicht!»

Das ist brillant geschrieben und mitreissend zu lesen. Ganz grosses Kino, hier passt die Floskel ausnahmsweise einmal.

Buch
Daniel Kehlmann

Lichtspiel
480 Seiten
(Rowohlt 2023)