Gabriel García Márquez: Keine grosse Liebe
Neulich erschien eine Kurzgeschichte aus dem Nachlass von Gabriel García Márquez. Er selbst hielt sie für untauglich. Womöglich hatte er recht
Inhalt
Kulturtipp 08/2024
Barbara Beer
Die Titel des vor zehn Jahren verstorbenen Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez (1927–2014) sind nach wie vor im kollektiven Gedächtnis. Die Ankündigung eines bisher unveröffentlichten Textes berührt. «Wir sehen uns im August» heisst die Kurzgeschichte aus dem Nachlass, die er selbst für untauglich hielt und die der Verlag mit den Worten bewirbt: «Eine Geschichte über die Liebe, wie nur Gabriel García...
Die Titel des vor zehn Jahren verstorbenen Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez (1927–2014) sind nach wie vor im kollektiven Gedächtnis. Die Ankündigung eines bisher unveröffentlichten Textes berührt. «Wir sehen uns im August» heisst die Kurzgeschichte aus dem Nachlass, die er selbst für untauglich hielt und die der Verlag mit den Worten bewirbt: «Eine Geschichte über die Liebe, wie nur Gabriel García Márquez sie schreiben konnte.» Eine Behauptung, die man im Laufe dieser 144 Seiten immer wieder infrage stellt.
Wie würde man dem Satz «Sie bestieg ihn mit Leib und Seele» begegnen, wüsste man nicht, dass er vom Meister des magischen Realismus stammt? Zurückhaltung war nie Márquez’ Sache, er neigte zum Überschwang. Doch diese Geschichte ist schnell erzählt. Ana Magdalena Bach, seit 27 Jahren verheiratet, fährt jeweils im August zum Grab ihrer Mutter. Nach einem Abendessen mit zu viel Gin geht sie fremd. Das wiederholt sie dann jedes Jahr. Doch auch ihr Gatte ist umtriebig.
Es wird gefleht, verschmäht, am Ende zerfallen Tote zu Staub. Die körperliche Liebe, das Gegenteil des Todes. Die Agentin von Gabriel García Márquez hatte die Geschichte einst mit den Worten angekündigt, sie handle von einer Frau, welche die Liebe ihres Lebens findet. Márquez zeigte sich amüsiert. Seine Heldin finde nicht die Liebe ihres Lebens, sondern bei jedem Besuch einen anderen Liebhaber. So sollte man diese Petitesse auch lesen. Sie ist gewiss kein Meisterwerk, keine grosse Liebe, aber eine Erinnerung an einen, der einst Meisterwerke schuf.
Buch
Gabriel García Márquez
Wir sehen uns im August
144 Seiten
(Kiepenheuer & Witsch 2024)