Bestseller: Gestohlene Kindheit
Ein alter Mann erzählt im Erinnerungsbuch «Mein Name war 125» von der Tortur in einem Tessiner Erziehungsheim der 1950er.
Inhalt
Kulturtipp 24/2024
Rolf Hürzeler
Das simulierte Ertränken eines Menschen gilt als Folter. Genau dieser Prozedur unterzogen die Nonnen eines Tessiner Heims ihre Zöglinge in den 50er-Jahren. «Er wurde ins Wasser gedrückt … Er fühlte den Tod.»
Mit diesen Worten beschreibt der Tessiner Autor Matteo Beltrami die Qualen, die sein Vater Piero erleiden musste. Unter dem Titel «Mein Name war 125» wurde er als Kind von den Behörden in die Tessiner Er...
Das simulierte Ertränken eines Menschen gilt als Folter. Genau dieser Prozedur unterzogen die Nonnen eines Tessiner Heims ihre Zöglinge in den 50er-Jahren. «Er wurde ins Wasser gedrückt … Er fühlte den Tod.»
Mit diesen Worten beschreibt der Tessiner Autor Matteo Beltrami die Qualen, die sein Vater Piero erleiden musste. Unter dem Titel «Mein Name war 125» wurde er als Kind von den Behörden in die Tessiner Erziehungsanstalt Istituto von Mentlen eingewiesen, die heute noch in Betrieb ist.
Sadistisches Unterdrückungsregime
Piero Beltrami war das uneheliche Kind einer italienischen Serviceangestellten, die in der Schweiz ihr Glück suchte. Die Mutter war mit dem Kind überfordert, Piero verbrachte viel Zeit bei einer Pflegefamilie. Die Behörden vermuteten, der Kleine werde vernachlässigt, und brachten ihn bei den Nonnen in dieser Institution unter.
Dort herrschte ein sadistisches Unterdrückungsregime: Schläge, auch mit der Peitsche, gehörten zum Alltag. Es kam regelmässig zu sexuellen Übergriffen durch einzelne Klosterfrauen. Ausgerechnet von der katholischen Kirche selbst kam in diesem Fall die Rettung. Das Kloster Faido nahm Piero Beltrami auf, wo er zum jungen Mann heranreifen konnte.
Beklemmende Lektüre
Die Lektüre dieser Aufzeichnungen nach Gesprächen des Sohnes mit dem Vater ist streckenweise so beklemmend, dass man das Geschehene kaum für möglich hält. Beiträge von Tessiner Amtspersonen und vom heutigen Institutsleiter bescheinigen indes den Erinnerungen von Vater Beltrami Faktentreue. Eine wichtige Frage bleibt jedoch offen: Warum nur kannten diese Nonnen keinerlei Erbarmen mit den ihnen anvertrauten Kindern?
Matteo Beltrami
Mein Name war 125
Aus dem Ital. von Vincenzo Todisco
203 Seiten
(Elfundzehn 2024)