Bestseller: Aus der Welt gefallen
Ein zaudernder Eigenbrötler steht im Mittelpunkt von Peter Stamms neuem Roman «Das Archiv der Gefühle».
Inhalt
Kulturtipp 20/2021
Babina Cathomen
Das Spiel zwischen Realität und Fantasie beherrscht Peter Stamm meisterhaft. Das zeigt er auch in seinem neuen Roman «Das Archiv der Gefühle». Im Zentrum steht ein Mann, wie man ihn schon kennt aus Stamms Werk: ein Zaudernder, Scheiternder, einer, der aus der Welt gefallen scheint. In seiner schlichten, reduzierten Sprache schildert der Winterthurer Autor das Leben eines Dokumentalisten Mitte 50, der sein Archiv mit Zeitungsartikeln auch nach der Kündigung weiterf&u...
Das Spiel zwischen Realität und Fantasie beherrscht Peter Stamm meisterhaft. Das zeigt er auch in seinem neuen Roman «Das Archiv der Gefühle». Im Zentrum steht ein Mann, wie man ihn schon kennt aus Stamms Werk: ein Zaudernder, Scheiternder, einer, der aus der Welt gefallen scheint. In seiner schlichten, reduzierten Sprache schildert der Winterthurer Autor das Leben eines Dokumentalisten Mitte 50, der sein Archiv mit Zeitungsartikeln auch nach der Kündigung weiterführt. Ordnung zu schaffen in dieser undurchschaubaren Welt, ist sein Ziel. Ein Ziel, über dem er ganz vergisst, sein eigenes Leben zu leben. «Ich bin immer nur der Dabeiseiende gewesen», sagt sich der Ich-Erzähler. Er hat stets den einfachsten Weg gewählt, Chancen verstreichen lassen. Seiner unerfüllten Jugendliebe Franziska, die sich später als Schlagersängerin Fabienne einen Namen machte, hängt er noch Jahrzehnte später nach. Sie ist Projektionsfläche für seine Fantasien, seine imaginierte Gesprächspartnerin. Ihren Werdegang hat er minutiös dokumentiert – nur seine verwirrenden Gefühle für Franziska lassen sich nicht in den Kategorien seines Archivs einordnen. Die Szenen mit Franziska/Fabienne, in denen Erinnerungen und Fantasien mit realen Ereignissen aus der Gegenwart verwischen, sind die stärksten im Buch. Ansonsten bleibt der Sonderling in seiner ganzen Unfähigkeit, das Leben auszukosten, etwas eindimensional – auch wenn sich ein Gesinnungswandel abzeichnet und der Ich-Erzähler vielleicht doch noch einen anderen Weg einschlägt.
Peter Stamm
Das Archiv der Gefühle
192 Seiten
(S. Fischer 2021)