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Eine Katastrophe zeichnet sich ab: Die Worte «Air France 006 Mayday …» gehen über den Funk. Denn eine Passagiermaschine ist auf ihrem Flug von Paris nach New York in ein fürchterliches Unwetter geraten. Mit 243 Passagieren an Bord droht sie abzustürzen. Wie durch ein Wunder kann das Flugzeug sicher landen.
So weit, so dramatisch. Noch aufregender wird die Geschichte, als sich herausstellt, dass sich 106 Tage früher genau das gleiche Ereignis bereits einmal zugetragen hat. Auf demselben Flug, mit den genau gleichen Passagieren. Alles ist identisch «bis hin zum Ketchup-Fleck auf dem Teppich». Flug 006 scheint sich verdoppelt zu haben.
Der französische Autor Hervé Le Tellier hat diese eigenwillige Struktur für seinen neuen Roman «Die Anomalie» gewählt. Er stellt darin seine Protagonisten wie die Leserschaft vor ein paradoxes Rätsel: Wie kann etwas sein, das es nicht gibt?
Damit ermöglicht sich Le Tellier, die Karikatur einer rationalen Gesellschaft zu zeichnen, die alles verstehen will. So trommelt das US-Militär Wissenschafter, religiöse Würdenträger, Geheimdienstagenten und sogar den depperten US-Präsidenten zusammen, um dem Geheimnis auf die Spur zu bekommen. Es kommt zu einer heillosen Verwirrung, die Le Tellier erzählerisch brillant meistert.
Ebenso lesenswert sind die Lebensgeschichten der vom Phänomen betroffenen Flugpassagiere, darunter ein Musikstar, eine Anwältin und ein Berufskiller. Sie alle führen in diesem Roman ein Doppelleben im wörtlichen Sinn. Wer es nicht glaubt, muss diesen Roman lesen – und wird es nicht bereuen.
Hervé Le Tellier
Die Anomalie
345 Seiten
(Rowohlt 2021)
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