kulturtipp: Benjamin Schmid, was unterscheidet einen Geiger von einem anderen Musiker?
Benjamin Schmid: Es gibt Leute, die können bei jedem Menschen sofort sagen, welches Instrument er spielt. Irgendwie schauen wir Geiger eben doch gleich aus. Und die Geige ist die Königin der Instrumente.
Ich dachte, das sei die Orgel.
Für mich ist es die Geige, weil die Geige zwei Töne am schönsten und am vielfältigsten verbinden kann. In der Musik kommt es darauf an, was zwischen den Tönen passiert. Da ist die Spannung drin. Dank der zwei unabhängigen Systeme der Tonproduktion beziehungsweise Tonmodulierung – Finger- und Bogendruck – ist das bei der Geige möglich.
Den Geiger umschwebt auch etwas Unheimliches, was sich im Wort «Teufelsgeiger» zeigt. Der «Tastenzauberer» ist geradezu die Kinderversion davon. Spielt diese Ebene in Ihrem Spiel eine Rolle?
Sie muss es! Es gibt ja auch Violinkompositionen, die das Publikum diabolisch zu berühren versuchen: von Giuseppe Tartinis «Teufelstrillersonate» bis zu «Obsessions» von Eugène Ysaÿe. Einerseits fasziniert am Geiger eine hochgezüchtete, verrückte Virtuosität. Hinzu kommt die Geräuschhaftigkeit neben den Tönen, neben den Frequenzen, die wir alle auch brauchen. Die Geige hat ein unheimliches Spektrum an Obertönen und Geräuschmöglichkeiten, die allein durch die Bogenkunst ausgedrückt werden können.
Vielleicht auch Dinge, die man diesem kleinen Instrument nicht ganz zutraut. Sind Sie ob Ihrer Kunst nie erschrocken?
Wir Geiger üben viel. Aber wenn es um die Musik geht, suchen wir ständig nach Klang. Und so ist der klassische Künstler ein Vorbereitungskünstler, der am Podium die Kunst der Konzentration und der Vermittlung beherrschen muss. Insofern sind die Überraschungen oder die Geräusche schon von langer Hand geplant. Anders im Jazz.
Was genau ist für Sie im Jazz anders?
Im Jazz überrasche ich mich ständig. Es ginge gar nicht anders, da muss ich aus mir ausbrechen, den musikalischen Partner und somit mich selbst verblüffen. Da gibt es sehr oft Klänge, die ich nicht kannte. Und das ist das schönste Erlebnis für einen Musiker.
Ist die Beschäftigung mit Jazz ein Ausbruch aus dem klassischen Geigerberufsschema?
Nein. Jazz ist ein weiter Begriff, der mit offenen Armen auf andere Musikformen zugeht. Ich habe seit meiner Kindheit Jazz gespielt, bin da parallel in die Klassik hineingewachsen. Es war nie eine Revolution. Diese Liebe zum Jazz ist eher stärker geworden, obwohl sie mit der zur Klassik schwer zu vereinbaren ist. Jazz ist ein lebenslanges Kontinuum.
Aber Sie trennen Klassik und Jazz?
Ja, sogar sehr strikt. Meine Mitmusiker motivieren mich nun allerdings, auch aus dem Jazz auszubrechen, musikalische Gedankensprünge zuzulassen, mich auf europäische Wurzeln zu berufen und diese in der Interpretation zu verwenden.
Das hat den Beigeschmack von Crossover.
Ich habe immer ein Problem mit billig produziertem Crossover gehabt. Der Jazz kann für sich existieren – und die Klassik sowieso. Die brauchen nicht 1000 Brücken. Es gibt aber ein paar sinnvolle Brücken. Mir geht es auch um die Kunst der Improvisation, die in der Klassik abhanden gekommen ist. Ich verstehe nicht, wie ein Musiker ein Leben lang Noten, die ein anderer aufgeschrieben hat, nachspielen kann und sich nie einen eigenen musikalischen Gedankengang gönnt. Auch wenn man das nur für sich selbst zum Spass macht, befruchtet es die notierte Musik. Eine Komposition ist eine vollendete Improvisation. Eine gute Improvisation sollte so gut sein wie eine Komposition. In der Improvisation kann ich wesentliche Teile meiner musikalischen Persönlichkeit besser auf- und ihnen nachspüren, als wenn ich immer nur Noten spielen würde. Nicht nur das Vorbereitete, bis an die Zähne Bewaffnete gehört zum Musikmachen.
Behinderte der Jazz Ihre klassische Karriere nicht?
Überhaupt nicht. Heutzutage wird das einem nicht mehr übel genommen. Ich mache ja auch nur Sachen, von denen ich sehr überzeugt bin.
Obwohl ja die Geige kein Jazzinstrument ist?
Es gibt nur sehr wenige Leute, die auf der Geige im Jazz weit kommen. Aber ich hörte Dinge, die spielte sonst niemand. Ich dachte, das müsse ausgedrückt werden.
[CD]
Benjamin Schmid/Daniel Raiskin: Wieniawski, Szymanowski, Lutoslawski (Oehms 2007).
BeniSchmidObsession: Hommage à Grappelli (Oehms 2006).
Benjamin Schmid: Ysaÿe,
Sonatas Op. 27, 1–6 (Oehms 2003).
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