Besonders gescheit? Oder einfach eine Zumutung? Die folgenden Sätze erschliessen sich einem Museumsbesucher nicht einfach: «‹Graffiti› ist ein Bild, das nichts mehr darstellt. Es ist, was es ist und ist im selben Moment Projektionsfläche für Verweise innerhalb der grundlegenden malerischen Parameter Fläche und Farbe: Die durchlässige Oberfläche verdeckt und enthüllt zugleich die Wand der Kunsthalle…»
Dieses Zitat ist dem Begleittext zur laufenden Ausstellung «Tercerunquinto – Graffiti» in der Kunsthalle Basel entnommen. Und niemand kann sich vorstellen, dass diese Ankündigung Zuschauer anlocken wird. Im Gegenteil: Abschreckung ist angesagt: Was hier gezeigt wird, ist nur schwer verständlich.
Texte wie der zitierte illustrieren die Kritik der deutschen
Autorin Nicole Zepter am elitären Kunstbetrieb. Sie setzt sich in ihrem Buch «Kunst hassen» zu Recht für eine allgemein verständliche Kunstvermittlung in den Museen ein. «Museen haben einen Bildungsauftrag, aber sie hämmern diese Bildung den Leuten leider in die Köpfe», bringt Zepter ihre Kritik in einem Fernsehinterview mit der ARD auf den Punkt. Die Besucher seien dadurch eingeschüchtert und würden nicht wagen, ein eigenes Urteil zu fällen. Ihr Rundumschlag ist pauschal und hat in Deutschland zu massiver Kritik gefüht. Die Fortschritte in der Museumspädagogik, beispielsweise, seien nicht berücksichtigt. Tatsächlich bemühen sich auch in der Schweiz zahlreiche Kunsthäuser, die Zugangsschwelle zu senken.
Nicole Zepter kritisiert einen «überhöhten Kunstbetrieb», wie sie in ihrem Buch schreibt. So mokiert sie sich über Ranglisten in der Kunstwelt, wie sie etwa die international renommierte «Art Review» jährlich aufstellt: «Die 100 mächtigsten Akteure in der Kunstwelt», mit dem chinesischen Künstler Ai Weiwei an der Spitze oder dem Schweizer Kurator Hans-Ulrich Obrist von der Londoner Serpentine Gallery in den vorderen Rängen.
Die Autorin kritisiert neben dem elitären Anspruch des Museumsbetriebs auch die oft kaum nachvollziehbaren Preise für Kunstwerke. Der berühmte Glitzerkopf des Engländers Damien Hirst beispielsweise erzielte vor sieben Jahren einen Verkaufspreis von 95 Millionen Franken; seither ist der Marktwert von Hirst massiv gesunken. Das Beispiel belegt, wie willkürlich Preise für Kunstwerke sind. Und es zeigt, wie sehr der Kunstbetrieb dem Publikum Ehrfurcht abverlangt. Denn was teuer ist, muss von enormer Bedeutung sein – wie zum Beispiel ein mit Diamanten bestückter Menschenschädel.
Nicole Zepter
«Kunst hassen – Eine enttäuschte Liebe»
136 Seiten
(Klett-Cotta 2013).
«Kein falscher Respekt, bitte»
kulturtipp: Müssen wir Kunst bewundern, die uns langweilt?
Nicole Zepter: Man muss es nicht, aber wir tun es in den meisten Fällen. Es ist ein erlernter Prozess, den wir nicht hinterfragen. Wir geben unsere eigene Meinung zugunsten einer «Autorität» ab – dem Museum und seinem Personal.
Sie kritisieren eine falsche Ehrfurcht vor Experten und Institutionen.
Meine Frage zu Beginn des Buches war: Ist es normal, wie wir uns in Museen und gegenüber der Kunst verhalten? In erster Linie habe ich mich selbst hinterfragt – warum halte ich in dieser Führung durch eine Ausstellung meine Meinung zurück? Warum fühle ich mich unwohl und beobachtet? Ist es ein rein subjektives Gefühl oder geht es anderen ähnlich? Nach der Recherche – und nach den Reaktionen auf das Buch war klar: Es geht vielen so.
Frühere Bücher werfen ebenfalls einen kritischen Blick auf moderne Kunst – versuchen jedoch zu erklären, dass dahinter mehr Substanz steckt als vermutet.
Ich kritisiere keinesfalls moderne, zeitgenössische Kunst, ganz im Gegenteil. Ich liebe Kunst aus allen Epochen – jedoch nicht jedes einzelne Kunstwerk. Ich kritisiere das fehlende Urteilsvermögen der Besucher und lege die Hauptlast auf die Seite der Institutionen, da diese die Vermittlung und Auswahl in der Hand haben. Ich kritisiere die Verallgemeinerung der Kunst, die Distanz, mit der Kunst vermittelt wird. Mein Buch «Kunst hassen» ist ein fast emanzipatorisches Mittel, um sich von dem fehlenden Gefühl zur Kunst und der fehlenden Urteilskraft zu befreien. Plötzlich hat man eine eigene Meinung, auch wenn es zunächst nur die Abneigung ist.
Sie behaupten, dass die Frage nach «guter Kunst» sinnlos ist. Wie müsste denn die richtige Frage lauten?
Meine Frage ist, welche Kriterien müssen geschaffen werden, um sich ein eigenes Urteil bilden zu können. Dieses liegt jenseits von guter oder schlechter Kunst. Natürlich gibt es ähnlich wie in der Literatur eine Auswahl, der auch ich folge. In der Tendenz ist es jedoch zu einer Lobhudelei der Bildenden Kunst gekommen – und parallel zu einer fehlenden Urteilskraft der Rezipienten.
Ich zitiere den Hauptdarsteller von «American Hustle», einen ausgekochten Betrüger: «Es ist einfacher, ein Bild für eine halbe Million zu verkaufen als für 100 000 Dollar.» Spricht dies nun für die Kommerzialisierung des Kunstbetriebs oder eher für die Wertschätzung von Kunst?
Weder noch – es spricht einfach für die Gesetze des Marktes, und die sind auf Höchstpreise und eine hohe Rendite aus. Das ist nachvollziehbar. Allerdings sollte der Blick auf die Kunst nicht durch Preise verdorben werden. Es ist den Medien, Institutionen und jedem Einzelnen möglich, die Mechanismen der Märkte zu erkennen und Kunst jenseits vom Markt zu bewerten.
Interview: Karin Unkrig
Die 37-Jährige lebt in Berlin, sie ist Chefredaktorin des Magazins «The Germans». Zepter ist eine leidenschaftliche Museumsbesucherin und eine ebenso umstrittene wie erfolgreiche Autorin.