Das Unheil naht übers Wasser: Mit kräftigen Schlägen pflügen drei Männer in ihrem Kahn durch die graublaue Masse Richtung Ufer. Die Bootsfahrer entpuppen sich als Söldner, die aus der Fremde heimkehren. Mit ihrer Fremdartigkeit bringen sie auch das Chaos ins fiktive Fischerdorf am Vierwaldstättersee.
«Wetterleuchten» nennt sich das in einer unbestimmten, vergangenen Zeit angesiedelte Freilichtspiel. Der Titel beziehe sich auf das ferne Leuchten kommender Umwälzungen am Horizont, erklärt der Luzerner Autor Beat Portmann, der sich für seine zeitlose Parabel in die Geschichte der Region vertieft hat. Während im Dorf unter der Macht von Patriziat und Kirche eine erstarrte Gesellschaftsordnung herrscht, sind in der Fremde Revolutionen und Unruhen im Gang. Mit der Heimkehr der drei Söldner kommt nun ein Hauch von weiter Welt an den Vierwaldstättersee. Bei den Bewohnern lösen die Heimkehrer Faszination, aber auch Angst aus. Die drei Fremden werden besonders von den Machthabern im Dorf als Bedrohung empfunden. Ein Söldner weckt bei der wohlhabenden Schiffsmeister-Familie eine dumpfe Erinnerung an eine Schuld in der Vergangenheit, die längst unter den Teppich gekehrt wurde. Während der Festvorbereitungen für die Hochzeit des Schiffsmeisters mit einem armen Fischermädchen bricht das Vergangene hervor. In einer Nacht des Aufruhrs droht die Dorfgemeinschaft auseinanderzufallen.
Sturmerprobt
Beim Probeneinblick auf der abgeschrägten, halbkreisförmigen Sand-Bühne, die direkt in den See führt, ist ein erbitterter Streit im Gang: Die junge Sophia sträubt sich vehement dagegen, sich mit ihrem baldigen Angetrauten Niklaus zu treffen. Sie ist die jüngste von drei Schwestern, die nach dem Tod ihrer Eltern auf sich alleine gestellt sind. Durch die Heirat mit dem wohlhabenden Schiffsmeister versprechen sie sich ein besseres Leben für die Jüngste. «Mit em Niklaus bisch alli Sorge los», versuchen sie Sophia zu überzeugen. Eine Walzermelodie weht von einem fernen Schiff herüber und treibt die Schwestern zu einem wild-verzweifelten Tanz an.
Mit sanftem Nachdruck lässt Volker Hesse die Schauspielerinnen die Szene wiederholen, arbeitet an Feinheiten im Ausdruck und in der Sprache. Und auch als die Theatercrew – fünf Profi- und rund 60 Laienschauspieler – plötzlich im strömenden Regen steht, wird weitergeprobt. Von Nässe und Kälte lassen sich die sturmerprobten Theaterleute nicht abschrecken. Nur in Ausnahmefällen ziehen sie sich in den Schafstall zurück, wie Bühnen- und Kostümbildner Stephan Mannteuffel erzählt. Auch das Publikum wird dem Naturerlebnis auf der ungedeckten Tribüne ausgesetzt sein. «Im Sinne des griechischen Amphitheaters sollen die Menschen die Landschaft spüren und Teil der Dorfgemeinschaft werden», sagt Mannteuffel. Das beginnt bereits auf dem Weg zur Bühne, der die Zuschauer an einer langen Festtafel vorbei durch ein Bootshaus führt.
Inzwischen hat der Himmel aufgeklart. Die weissen Leintücher der Waschfrauen flattern im Wind und läuten die nächste Szene ein. Kulisse ist die Natur selbst: Das Rauschen von Wind und Wellen, das Blöken der Schafe, das Tuten vorbeiziehender Schiffe werden in der Inszenierung eins mit der Musik.
Wetterleuchten
Premiere: Di, 11.6., 21.00
Tribschen Luzern
www.freilichtspiele-luzern.ch
4 Fragen an Regisseur Volker Hesse «Ich spüre der dunklen Vergangenheit unter der Schönheit nach»
kulturtipp: Volker Hesse, die düstere Geschichte des Stücks kontrastiert stark mit der Idylle dieser Landschaft. Was macht den Reiz aus, «Wetterleuchten» hier anzusiedeln?
Volker Hesse: Diese Postkartenlandschaft bietet sich geradezu an, von den Gegensätzen zu erzählen, die in der Schweizer Geschichte so ausgeprägt sind. Die Innerschweiz war über Jahrhunderte von Armut geprägt. Die Söldnergeschichte ist ein Aspekt dieser Armut. Millionen von jungen Schweizer Männern sind damals in den Krieg gezogen. An diesem Ort hier spüre ich der dunklen Vergangenheit nach, die unter der Schönheit liegt.
Was erwartet die Zuschauer?
Der Abend ist so angelegt, dass die Zuschauer zuerst einmal von der Attraktivität des Orts verführt werden. Sie sind Teil des Dorflebens vor rund 200 Jahren. Nach und nach tun sich aber Risse in der Idylle auf. Ich spiele bewusst mit der Veränderung des Lichts: Der Wechsel von der Helligkeit in die Nacht führt das Publikum vom Angenehmen in die Dunkelheit: Allmählich bricht das Albtraumhafte hervor.
Wie äussert sich dieser Albtraum?
Die drei heimkehrenden Söldner brechen in die Ordnung des Dorfes ein, das von autoritären katholischen Mustern geprägt ist. Sie sprengen Konventionen, holen verdrängte Erfahrungen und sprichwörtlich die Leichen aus dem Keller hervor. Und sie stecken die Dorfgemeinschaft an mit ihren Traumata, die sie aus dem Krieg mitbringen.
Zur Vorbereitung haben Sie den Schauspielern Texte gegeben über die Heimkehr von Soldaten aus Vietnam oder Afghanistan. Werden im Stück auch aktuelle Bezüge hergestellt?
Die Schauspieler haben sich im Vorfeld in Erfahrungen von Menschen versetzt, die nach einem Krieg durch Gewalt und Tod physisch und psychisch verändert worden sind. Ich hoffe, dass über die Intensität, mit der wir unsere Geschichte erzählen, auch Assoziationen zu heute hergestellt werden. «Wetterleuchten» ist kein «Desserttheater», die Idylle bekommt zumindest Fragezeichen. Mich reizt am Stück besonders der Zusammenprall von Kriegsrealität mit der Schweizer Ordentlichkeit.