CDs
Paul McCartney hat auf seinem neuen Album «Kisses On The Bottom» für einmal nicht eigene Kompositionen versammelt, sondern präsentiert einen Strauss von Jazz-Standards und Klassikern aus dem Grossen Amerikanischen Songbuch der Vor-Rock-’n’-Roll-Jahrzehnte. Dabei rekonstruiert er seine musikalische Kindheit. Begleiten lässt er sich von der Band der Jazz-Pianistin Diana Krall. Er singt nur; zwei Stücke im Stile des Alten hat er selber neu geschrieben. Als Gäste dabei sind unter anderem Eric Clapton und Stevie Wonder an der Mundharmonika.
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Paul McCartney
Kisses On The Bottom
(Universal 2012).
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Ringo Starr nennt sein neustes Plattenprodukt schlicht «Ringo 2012». Der begnadete Schlagzeuger kann auf keine grosse Stimme bauen – für die neun Tracks reicht sie alleweil. Er singt flotte Wohlfühl- und Frohsinn-Songs, die munter interpretiert sind: Altes, frisch vorgetragen, eingespielt von einer wahren All Star Band (mit dabei unter anderen Joe Walsh, Van Dyke Parks, Don Was und Dave Stewart). Nostalgie der autobiografischen Art darf auch hier sein: Im Song «In Liverpool» besingt Ringo (72) die gute alte Zeit.
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Ringo Starr
Ringo 2012
(Universal 2012).
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DVD
Ein Film über George Harrison ist zu einem schönen Teil ein Film über die Beatles. Zehn Jahre nach Harrisons Tod im Jahr 2001 hat Regisseur Martin Scorsese die umfangreiche Dokumentation vorgelegt, dreieinhalb Stunden lang. Scorsese kann auf zum Teil exklusives Bildmaterial zurückgreifen, das ihm Co-Produzentin Olivia Harrison, die Witwe, zur Verfügung stellte: Harrison als Gärtner auf seinem gigantischen Anwesen, Harrison inmitten von Formel-1-Lärm – schöne Beispiele, wie «der stille Beatle» zwei Seiten hatte: «Er war eine extreme Person, gut und schlecht, liebevoll und wütend, alles gleichzeitig», heisst es im Film. Zahlreiche Weggefährten kommen zu Wort, und die verschiedenen Lebens- und Schaffensstationen George Harrisons werden dokumentiert. Aus heutiger Sicht würdigen Paul McCartney und Ringo Starr ihren verstorbenen Mitmusiker. Eine wunderbare Filmdokumentation, die gar nie für eine Kinoauswertung gedacht war, sondern nur auf DVD erhältlich ist.
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George Harrison:
Living In The Material World
Regie: Martin Scorsese
2 DVDs
209 Minuten
(Alive 2011).
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Konzerte
Zahlreiche Bands covern die Beatles Ton für Ton, um so Live-Erlebnisse zu ermöglichen, die es mit den Originalen nicht mehr geben kann. Eine dieser Bands nennt sich Cavern Beatles, benannt nach dem heimatlichen Liverpooler Club, in dem die Beatles zwischen 1961 und 1963 insgesamt 292-mal aufgetreten sind. Die Band ist vom Club offiziell autorisiert, den Namen zu tragen. Sie spielt ein Repertoire, welches das ganze Schaffensspektrum der Beatles abdeckt. Wenn sie auf der Bühne spielen, wähnt man sich in die Sixties zurückversetzt.
Paul McCartney, der im Juni 70 wird, kann es nicht lassen. Nach wie vor tourt er auf Konzertbühnen durch die Welt. Aktuell tut er es mit dem Programm «On The Run», das er im Juli 2011 in New York startete. Zu erwarten ist, dass er wie immer nebst dem eigenen Solo-Repertoire der Nach-Beatles-Ära einen Grossteil der Stücke aus der guten alten Beatles-Zeit zum Besten gibt. Am Schluss ist jeweils ein einziges grosses Beatles-Konzert zu hören, wie es sich das Publikum wünscht.
Interview mit Matthias Erb (Musikredaktor DRS 3)
Matthias Erb, Musikredaktor DRS 3, Liebhaber und Kenner der Beatles, über die Bedeutung der epochalen englischen Band. Sie produzierte vor 50 Jahren ihre erste Platte und löste sich vor 42 Jahren auf.
Matthias Erb beschäftigt sich journalistisch bei Radio DRS 3 intensiv mit den Beatles. Und er hat auch praktische Erfahrungen aufzuweisen: Als Mitglied der Basler Band The Saltbee – gut geschüttelt ergeben die Buchstaben dieses Anagramms «The Beatles» – hat er 1994 auf dem Album «That Means A Lot» ausschliesslich McCartney-Kompositionen interpretiert. Und zwar nicht solche, die die Beatles selbst spielten. Sondern diejenigen, die McCartney während der Beatles-Zeit für Dritte geschrieben hatte.
Paul McCartney ist aber nicht der Lieblingsbeatle von Matthias Erb. Das ist eindeutig John Lennon («der Abgründigste»). Als Lieblingsalbum nennt er «Revolver» von 1966 («das perfekte Pop-Album»). Erb empfiehlt «Rubber Soul» (1965), um Einsteigern die Musik der Beatles schmackhaft zu machen. Dieses Album habe «noch das Unbekümmerte und ist gleichzeitig bereits experimentell».
Wieso bleiben die Beatles nach so vielen Jahren mit ihren musikalischen Leistungen gültig? «Es ist diejenige Band in der Popgeschichte, die ein erstes Mal gezeigt hat, wie man es macht», sagt Erb. Nämlich mit grossartiger Musik ungemein populär zu werden und Karriere zu machen. Für den Experten ist klar: «Sie sind bis zum Schluss genial geblieben. Die Beatles sind wie eine Blaupause für jede Band, die anfängt.»
Jede Popband habe eine Meinung zu den Beatles, ob für oder gegen ihre Musik. Als Besonderheit sieht Erb, wie die Beatles «immer wach waren, mitten in der Zeit standen», die musikalischen Entwicklungen aufnahmen und in ihre eigenständige Musik einarbeiteten. Als pophistorische Einmaligkeit wertet Erb den Um-stand, dass jeder der vier für die Band gleich wichtig war, ob er nun komponierte oder nicht: «Die Beatles zeigen keine Schwachstellen.» Das absolut Kreative der Beatles war, dass sie als erste Band aus der schwarzen Musiktradition heraus «einen Sound kreierten, den es bislang noch nicht gab».
Erbs Einschätzung der Nach-Beatles-Ära mit den jeweiligen Solo-Karrieren fällt weniger positiv aus: «Je weiter man vom Nullpunkt, vom Ende der Beatles, weggeht, desto schlechter wird es. Das gilt für alle vier.» Wenn etwa Paul McCartney heute noch Konzerte gibt und dabei viele Beatles-Stücke spielt, so sei es «nur noch banal», meint Erb – «es sind reine Nostalgieveranstaltungen». Die Musik der Beatles bleibt aber ein gewichtiger Wert.