Langenthal an einem warmen Samstagvormittag wirkt behäbig. Im Dorfzentrum wird auf Terrassen Kaffee geschlürft, auf dem Markt werden ganz ohne Hektik Tanne-Rauchwürstli, Pie-monteser Beef und Forellenfilets feilgeboten und erstanden. Das Kunsthaus macht Sommerpause. Hier im Herzen der Stadt steppt der Bär nicht, sondern er sitzt, in Form einer Skulptur an der Fassade des Hotel Bären. Die Stadt und politische Gemeinde Langenthal liegt im Schweizer Mittelland und gilt als einer der durchschnittlichsten Orte. Ein Grund, weshalb sich Langenthal für Umfragen anbietet, wenn man wissen will, wie das Land tickt.
«Langetu» mit der «Porzi» und dem «Stopp-Lisi»
Doch «Langetu», wie die Hiesigen sagen, hat mehr zu bieten. Es ist auch bekannt als Industrie-, Handels- und Designstadt. Hier wurde Anfang des 20. Jahrhunderts in der Fabrik «Porzi» Porzellan für Gastronomie und Haushalte hergestellt, hier ist der Sitz von Glas Trösch und hier wird der Design Preis Schweiz alle zwei Jahre vergeben. Dass Langenthal seine Historie und Baukultur lebt und pflegt, wurde 2019 mit dem Wakkerpreis honoriert. Der Schweizer Heimatschutz zeichnet mit dem Preis politische Gemeinden aus, die bezüglich Ortsbild- und Siedlungsentwicklung besondere Leistungen vorzeigen können. Ein neues Online-Tool erweitert nun das Angebot des Schweizer Heimatschutzes für Rundgänge zu baukulturellen Themen (siehe Box). Die neun letzten «Wakkergemeinden» sind bereits aufgeschaltet. «Baukultur soll damit vor Ort erlebbar werden», sagt Projektleiterin Regula Steinmann dazu.
Der Spaziergang in Langenthal beginnt beim Stadttheater. «In seiner Form und Anlage steht es ganz in der Tradition der historischen Theaterarchitektur des 19. Jahrhunderts», lässt das Online-Tool wissen. «Im Zuge der kürzlich erfolgten Renovation und Modernisierung des Baus wurde der Haupteingang auf die eigentliche Schauseite mit ihrer repräsentativen Tempelfront verlegt.» Tatsächlich wirkt die monumentale Säulenordnung, als würden hier antike Götter hausen. Pomona, die römische Göttin des Obstsegens, steht in Form einer Bronzeskulptur des Bildhauers Emilio Stanzani (1906–1977) auf einem Sockel vor dem Bau. Die Figur in Contrapposto-Pose wirkt mit ihren zum Himmel erhobenen Händen wie eine Tänzerin. Den Langenthalern ist die Figur als «Stopp-Lisi» bekannt.
Die Langete wird in Szene gesetzt
Weiter geht es ins Stadtzentrum, wo man einiges über die Marktgasse erfahren kann. Damit sich das Zentrum ab dem 17. Jahrhundert entwickeln konnte, war es nötig, die Langete zu zähmen. Die Hochtrottoirs zeugen davon, dass man mit Hochwasser zu kämpfen hatte. Das einstige Kanalsystem, welches das Wasser ableitete, wurde 1991 durch einen Entlastungsstollen abgelöst. 2014 konnte die Aufwertung der Marktgasse fertiggestellt werden. Die Hochtrottoirs sind heute breiter und rollstuhlgängig. Mit dem Brütschlihaus entdeckt man schliesslich einen kürzlich fertiggestellten Neubau. Von «gewöhnungsbedürftiger Dachlandschaft und Fassadengestaltung» ist die Rede. Damit sind wohl das eigenwillige Zackenmuster und die rosarote Farbe des Baus gemeint. Auch der Wuhrplatz erhielt vor nicht allzu langer Zeit ein neues Gesicht. 2011 konnte die Neugestaltung eingeweiht werden. Der Platz mit seiner konzentrischen Pflästerung hat beinahe etwas Psychedelisches. Weisse Streifen sorgen für den Effekt, dass sich der Platz auszubreiten scheint. Auch das Meer ist hier nicht weit. In der stufenartigen Ufergestaltung wird die Langete in Szene gesetzt: Ein blaues Schild mit der Inschrift «Zum Meer» ziert die Mauer, die den Fluss begrenzt. In Kistchen vertrocknete Pflanzen zeugen davon, dass hier Urban Gardening versucht wurde, bunt bemalte Tische laden zum Verweilen ein. Das in der Nähe des Platzes stehende Chrämerhuus, das seit 35 Jahren ein vielfältiges Kulturprogramm anbietet, zeugt noch davon, dass hier einst Gewerbe das Sagen hatte.
Eine Mühle zeigt barocke Lebenslust
Auf dem Weg zum alten Mühleareal begegnet einem schliesslich das kreative Langenthal in Form von Zwischennutzungen, Grafikateliers und originellen Orten. Etwa die Bar «Feiss & Heimlich – Pub & so» mit ihrem lauschigen Innenhof. Bei dem alten Mühleareal angekommen, erfährt man, dass die historische Mühle mit kleineren Neubauten und dem massiven Turmsilo ein «Ensemble von hohem Wert» bildet. Hier befindet sich nebst anderen Zwischennutzungen der Standort des Design Preis. Die Mühle selbst begeistert mit barocker Lebenslust. Malereien am Dach schmücken das Haus mit Blumenranken und Schwal-ben. Der heutige repräsentative Bau entstand in den Jahren 1756 bis 1759 und ist somit über 250 Jahre alt. Angeblich konnten die Langenthaler Müller im 18. Jahrhundert gegenüber den Müllern der Umgebung am meisten Kunden für sich gewinnen und handelten sich in zahlreichen Streitfällen um die Nutzung der Langeten manches Sonderrecht ein.
Wer auf seinem Spaziergang einkehren möchte, kann Wissen über Baukultur und Genuss verbinden. Ein Posten ist nämlich auch «L’Auberge», eine 1870 im klassizistischen Stil erbaute Villa, die über die Jahrzehnte hinweg verändert und ergänzt wurde. Der einstige Wohn- und Geschäftssitz einer Kaufmannsfamilie ist heute Hotel und Restaurant.
Baukultur entdecken
Die Reihe «Baukultur entdecken» wurde vor rund 20 Jahren vom Schweizer Heimatschutz als Serie von Faltblättern entwickelt. Dabei werden Rundgänge zu Baukultur an verschiedenen Orten der Schweiz angeboten. Ein neues Online-Tool sammelt Rundgänge auf einer Webplattform und ermöglicht Entdeckungsreisen vom Computer aus oder mit dem Smartphone direkt vor Ort. Aktuell sind Spaziergänge zu den neun letzten «Wakkergemeinden» von Aarau bis Meyrin aufgeschaltet, ergänzt durch Rundgänge in den Kantonen Basel-Stadt, Schaffhausen, Wallis und Zug.
www.heimatschutz.ch/rundgaenge