Werfen Sie das Stichwort «Bauhaus» in eine Runde, und jemand wird mit «Designer-Möbel» antworten. Freischwinger-Stuhl, Wassily-Sessel und Wagenfeld-Leuchte, gebogene Stahlrohre, Lederriemen und Glassäulen – so haben viele das Bauhaus abgespeichert.
Ursprungsort für die Klassische Moderne
Die legendäre Kunsthochschule wird heute als Ursprungsort für die Klassische Moderne im Design gefeiert. Oder aber als Wegbereiterin einer modernistischen Architektur verteufelt, die ab den 1950ern jene Wohnviertel entwarf, die sich später zu sozialen Brennpunkten entwickelten. 2019 wird die Gründung vom Bauhaus vor 100 Jahren gefeiert. Ein passender Zeitpunkt für Historiker, Museen und Filmemacher, um das Erbe der Schule und ihrer Vertreter neu zu bewerten.
Am Anfang steht eine kühne Idee. Der Architekt und Industriedesigner Walter Gropius übernimmt 1919 die Leitung der Kunstgewerbeschule in Weimar und wandelt sie zum «Staatlichen Bauhaus» um. Der Erste Weltkrieg ist vorüber, Europas alte Ordnung ist zusammengebrochen – Zeit für Neues! Nichts weniger als die «Gestaltung der Zukunft» will Gropius an seiner Hochschule vorantreiben. Er bricht die Grenzen zwischen Kunst und Handwerk auf, treibt die Ausarbeitung einer neuen Formensprache voran. Weg mit den schweren Holzmöbeln und jeglichem Schnörkel; klare Linien und Nüchternheit sollen in Architektur, Kunst und Design die Basis für eine transparente Demokratie legen.
Gropius kann namhafte Künstler wie Paul Klee, Wassily Kandinsky und Oskar Schlemmer als Meister gewinnen und 1200 Studentinnen und Studenten aus fast 30 Ländern an das Bauhaus locken. Sie alle arbeiten an Gropius’ Vision, entwerfen etwa Möbel für die wachsende Bevölkerung in den Städten. Mart Stams erster Entwurf eines Freischwingers zeigt einen ungewohnt leichten Stuhl, Marcel Breuers Wassily-Sessel ist luftig, Wilhelm Wagenfelds Lampe funktional. Nur: Was industriell gefertigte Günstigmöbel für die breite Masse hätte werden sollen, scheitert an hohen Produktionskosten. Viele der Objekte werden später zu Luxusprodukten und stehen heute für die Widersprüche, die auch im Bauhaus stecken.
Von solchen erzählt auch der deutsche Regisseur Lars Kraume in seiner Serie «Die neue Zeit». Kraume gibt jenen Raum, die in der Bauhaus-Erzählung lange ausgeblendet wurden: Frauen. Seine Protagonistin ist die Malerin Dörte Helm, die als erste Frau am Bauhaus studiert.
Gropius und sein Mitstreiter Johannes Itten
Walter Gropius spricht sich offiziell zwar für die Abschaffung von Geschlechterhierarchien aus. Künstlerinnen wie Helm, Alma Siedhoff-Buscher und Marianne Brandt müssen jedoch um ihre Plätze in Malerlehrgängen, Holz- und Metallwerkstätten kämpfen. In den gerade einmal 14 Jahren, in denen die Schule existiert, gibt es auch immer wieder Meinungsverschiedenheiten zwischen Gropius und seinen Meistern. Zwischen ihm und dem Schweizer Künstler Johannes Itten etwa kommt es nach vier Jahren zum Zerwürfnis. Itten entwickelte den Vorkurs für das Bauhaus. Doch seiner Idee einer Lebensschule steht Gropius’ wissenschaftlich-technische Ausrichtung diametral entgegen.
Das Kunstmuseum Bern widmet Johannes Itten (1888–1967) anlässlich des Bauhaus-Jahres eine Ausstellung. Hauptsächlich für seine Farbenlehre bekannt, wird Ittens Leben und Schaffen breiter beleuchtet. Schlüsselwerke, Skizzenbücher und Vortragsmanuskripte zeugen von einem Künstler, der Leben und Kunst vereinen wollte, der aber auch die damals gängigen rassistischen Denkweisen verinnerlicht hatte.
Was also bedeutet das Bauhaus heute wirklich? Dieser Frage ging das Forschungs- und Ausstellungsprojekt «Bauhaus Imaginista» nach, das im Zentrum Paul Klee in Bern gastiert. Die Schau zeigt die Schule als globalen Resonanzraum: Ideen entstanden im Austausch mit verschiedenen Kulturen und wurden in die Welt getragen.
Bauhaus wirkt noch heute nach
Der Bauhausschüler und Architekt Arieh Sharon wandte das funktionalistische Credo in seinem Entwurf eines klimatisch und kulturell passenden Campus für die Universität Ife in Nigeria an. Heute spiegelt sich dieser Geist in den Arbeiten junger Architekten und Designer. Etwa des britischen Kollektivs Assemble, das in seinen Rennovations-Projekten auf die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung eingeht. Es zeigt: Die Kraft des Bauhauses als gesellschaftliche Bewegung wirkt stärker denn je.
Johannes Itten: Kunst als Leben
Bis So, 2.2.
Kunstmuseum Bern
Bauhaus Imaginista
Fr, 20.9.–So, 12.1.
Zentrum Paul Klee Bern
Neue Bücher und DVDs zum Thema Bauhaus
Das ist das Bauhaus!
In 50 Antworten zu 50 Fragen erzählt dieses Buch von Bauhäuslern und Selbstversorgern, von Visionären und Experimentierfreudigen.
(Seemann Henschel 2019)
Bauhaus
Über 250 neue Fotografien, Schriften, Studien, Skizzen, Pläne und Modelle führen in die Welt des Bauhauses und das Leben
an der Kunsthochschule ein.
(Taschen 2019)
Frauen am Bauhaus
Dieses Buch stellt erstmals 45 Bauhaus-Frauen vor, die in den meisten Geschichts-büchern vergessen werden.
(Knesebeck 2019)
Jeder hier nennt mich
Frau Bauhaus
Der biografische Roman erzählt das Leben von Ise Frank, Gattin von Walter Gropius und Sekretärin am Bauhaus.
(DuMont 2019)
Mit dem Bauhaus um die Welt
Das Buch führt Kinder ab 8 Jahren anhand berühmter Bauhäusler in die Kunstschule und in bekannte Entwürfe ein.
(Seemann Henschel 2019)
Die neue Zeit
Die Serie erzählt anhand der Geschichte der Bauhaus-Schü-lerin Dörte Helm von den ersten Jahren an der Kunstschule.
2 DVDs, 270 Minuten
(Constantin Film 2019)