Diese Viehweide zeigt die Welt, mindestens diejenige des Kantons Appenzell Innerrhoden. Bauern präsentieren stolz ihre Tiere – man spürt das Selbstbewusstsein der Besitzer. Im Hintergrund kraxeln zwei schwarzgekleidete Touristen auf einen Berg. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts lebten die Appenzeller zum Teil von der Landwirtschaft und von städtischen Besuchern, die sich verköstigen liessen. Eine Gastwirtschaft auf dem Gipfel ist angedeutet.
Diese ländliche Welt liegt unter den drei Bergen Kamor, Hoher Kasten und Staubern im Kanton Appenzell, wo an sonnigen Wochenenden noch heute Hunderte von Touristen hinaufsteigen. Die Darstellung ist in der neuen Ausstellung «Bauernkunst – Appenzeller und Toggenburger Bauernmalerei von 1600 bis 1900» im St. Galler Kunstmuseum zu sehen, eine Schau Ostschweizer Art brut.
Idylle und Alltag
Das 1854 entstandene Werk stammt vom Bauernmaler Bartholomäus Lämmler, einem der wenigen bekannten Künstler. Das Leben dieses Künstler illustriert, wie sehr das reale Leben jener Zeit im Kontrast zur gemalten bäuerlichen Idylle stand: Lämmler (1809–1865) war arbeitsloser Weber und versuchte in jungen Jahren, im Elsass ein Auskommen zu finden, wie dem Ausstellungskatalog zu entnehmen ist. Von 1838 bis 1840 hausierte er im Kanton St. Gallen, war unglücklich verheiratet und wurde straffällig. Der Alkohol tat ein Übriges, der Künstler verstarb im mittleren Alter. Lämmler konnte offenkundig malen; er gilt heute als wichtigster Vertreter des Genres jener Zeit. Aber er konnte trotz seiner Fähigkeiten nicht von seiner Kunst leben – auch wenn die meisten Werke im Auftrag begüterter Bauern entstanden.
Die Entwicklung der Appenzeller und Toggenburger Bauernkunst liest sich wie ein Stück Sozialgeschichte dieser kantigen Ostschweizer Ecke. Im 16. und 17. Jahrhundert bemalten die meist anonymen Künstler Möbel und Holzwände, später auch die vertrauten Bilder auf Holztafeln, um die soziale Stellung der Auftraggeber zu dokumentieren. Meist standen die Auftraggeber im Mittelpunkt, Mann und Frau sowie ihre Tiere – Selbstdarstellung und Auftrumpfen mit dem Besitzstand. Und wer sich das nicht leisten konnte, griff kurzerhand selbst zum Pinsel, wie der legendäre Schriftsteller Ulrich Bräker (1735–1798).
Anonymer Möbelmaler
Ein typisches Beispiel für die Möbelmaler ist das abgebildete Himmelbett. Der Künstler ist anonym, die Auftraggeber sind «Herr Pfleger Johannes Abderhalden Jfr. Rosina Looser». Das Paar heiratete 1767 in St. Peterszell im Neckertal, in jener Zeit ist wahrscheinlich das Bild entstanden. Die beiden müssen wohlhabend gewesen sein, weil sie sich auf der Vorderseite des Betts mit Pferden präsentieren – man gehört zur besseren Gesellschaft. Wie Johannes und Rosine genau ausgesehen haben, wird die Nachwelt indes nie wissen. Denn die Künstler bemühten sich nicht um eine Ähnlichkeit der Porträtierten.
Wie der Toggenburger Kunstexperte Jost Kirschlager festhält, illustrierten dafür Insignien die Persönlichkeiten – Schwerter oder Schlüssel beispielsweise, die Macht anzeigten. Auch der religiöse Hintergrund ist auf vielen Werken erkennbar, mit Heiligen bei den Katholiken oder alttestamentarischen Szenen bei den Protestanten. Manchmal manifestierte sich der Glaube gleich wörtlich, etwa auf einem Kasten der reformierten «Jungfer Anna Barbara Erbar» von 1819 mit der Aufschrift «Soly Deo Gloria»: Nur dem Wort Gottes verpflichtet und keinesfalls dem Papst.
Mitte des 18. Jahrhunderts industrialisierte sich die Gegend zusehends. Aber Zeichen des gesellschaftlichen Wandels sucht man vergeblich in der Bauernmalerei. Die Ausstellungsmacher zeigen allerdings ein Bild mit der Schrift «Die Grosse Theurung und Hungersnoth, im Jahr 1817». Es stammt vom Maler Joh. Bartholome Thäler aus Hundwil, der die Not als Kind miterlebte und später das Bild aus der Erinnerung malte. Er stellt die Ratlosigkeit der Menschen vor unerschwinglichen Gütern dar, aber auch die spätere glückliche Zeit mit dem wirtschaftlichen Aufschwung. Der gleiche Thäler malte auch einen militärischen Zwischenfall unter dem Titel «Merkwürdiger Auftritt in der Revolution, auf dem Gemeindeplatz in Hundweil, Den 31. Merz 1798», wo es zu einem Scharmützel zwischen napoleonfreundlichen und -feindlichen Truppen kam.
Hin zum Kitsch
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfuhr diese Malerei eine Wende. Sie fand zwar in der Kunstwelt vermehrt Anerkennung, war aber zusehends von Kommerzialisierung geprägt. Diese bestimmte die Vorstellung der Städter zum Teil bis heute: Wer heute durch das Dorf Appenzell spaziert, ist mit einer Fülle von Kitsch konfrontiert, der als Hohn auf die künstlerische Vergangenheit der Region erscheint.
Ausstellung
Bauernkunst – Appenzeller und Toggenburger Bauernmalerei von 1600 bis 1900
Sa, 22.3.–So, 7.9.