Barbara Lotzmann - «Ich habe radikale Ansichten»
Seit 55 Jahren steht Barbara Lotzmann auf der Bühne – in ihrer letzten Spielzeit im Schauspielhaus Basel ist die resolute Schauspielerin aus der DDR in der Komödie «Pension Schöller» zu sehen.
Inhalt
Kulturtipp 10/2012
Babina Cathomen
Barbara Lotzmann nimmt kein Blatt vor den Mund: Sei es ihre Arbeit, das Alter oder die Sterbeorganisation Exit, zu jedem Thema hat sie eine pointierte Meinung. «Ich habe radikale Ansichten», sagt sie und ergänzt: «Die Umstände haben mich zur Kämpferin gemacht.» Aufgewachsen ist sie vaterlos im Erzgebirge in einem Dorf der ehemaligen DDR, wo das Geld nur für acht Jahre Grundausbildung reichte. Doch dann wurde sie an der Hochschule für Schauspiel...
Barbara Lotzmann nimmt kein Blatt vor den Mund: Sei es ihre Arbeit, das Alter oder die Sterbeorganisation Exit, zu jedem Thema hat sie eine pointierte Meinung. «Ich habe radikale Ansichten», sagt sie und ergänzt: «Die Umstände haben mich zur Kämpferin gemacht.» Aufgewachsen ist sie vaterlos im Erzgebirge in einem Dorf der ehemaligen DDR, wo das Geld nur für acht Jahre Grundausbildung reichte. Doch dann wurde sie an der Hochschule für Schauspielkunst «Ernst Busch» in Berlin aufgenommen und startete ihre Karriere in Halle, Chemnitz und am Deutschen Nationaltheater in Weimar. «In der DDR wurde jedes Stück als Erstes vor gesellschaftskritischem Hintergrund beleuchtet und liess sich mit doppeltem Boden spielen. Da war es einfacher, Theater zu spielen, denn man hatte einen gemeinsamen Feind.» Sie erinnert sich, wie die Stasi mit Tonbandgerät in den Zuschauerrängen sass und Sätze wie «Geben Sie Gedankenfreiheit» aus Schillers «Don Carlos» zensurierte.
Ende und Neubeginn
Ihre Arbeitsbedingungen erschwerten sich: Da ihr Mann als politischer Häftling im Gefängnis sass, bekam sie keine grossen Rollen mehr, und 1981 fand ihre Karriere in der DDR ein abruptes Ende. Innerhalb von drei Tagen wurde die Familie ausgebürgert; Lotzmann musste mit Mann und Sohn das Land verlassen.
Der Neubeginn im Westen gestaltete sich schwierig: «Man spricht die gleiche Sprache, aber alles ist anders. Die Leute hier sind Einzelkämpfer und sind es gewöhnt, sich zu verkaufen. Diesen Existenzkampf kannte ich nicht.» 1983 ergatterte sie aber ein Engagement im Ensemble der Komödie Basel. «Ich habe wieder ganz unten auf der Hierarchieleiter angefangen», sagt sie und erinnert sich mit Schaudern an ihre erste Rolle in «Maria Stuart»: «Der Regisseur hat mein Selbstwertgefühl zertrümmert – alles, was ich nach 28 Jahren auf der Bühne geglaubt hatte zu können, war anders!» Im Nachhinein sei es dennoch eine lehrreiche Erfahrung gewesen. Denn der autoritäre Regie-Stil, den sie aus der DDR kannte, liege ihr. «Mir gefällt es, wenn Regisseure klare Vorstellungen haben. So kann ich das Gerüst, das mir der Regisseur vorgibt, mit Fleisch füllen.» An das heutige Theater der Befindlichkeit und Improvisation, bei dem man oft bis kurz vor der Premiere herumschwimme, habe sie sich erst gewöhnen müssen.
Schwarzer Humor
Mit den jungen Schauspielern arbeitet sie gerne zusammen: «Das sind meine Vitaminspritzen», sagt sie und lacht laut. Zurzeit steht sie mit ihnen in der Komödie «Pension Schöller» auf der Bühne und lotet in der «Irrenanstalt» die Grenzen zwischen Normalität und Verrücktheit aus. Sie mimt darin die Schwester des Protagonisten, die ihren Bruder bemuttert: «Eine weibliche Klischeerolle, von Männern geschrieben. Aber die Regisseurin Christiane Pohle peppt die Figur mit viel schwarzem Humor auf.» Es wird eine ihrer letzten Rollen am Schauspielhaus Basel sein, da im Juni ihr Vertrag ausläuft. Mit der ihr eigenen Direktheit sagt sie: «Danach ist alles leer; ich habe keine Ahnung, was ich machen werde.» Und im Widerspruch zu ihrem ereignisreichen Leben meint sie: «Das Leben ist ja langweilig – ausser man ist verliebt! Aber auf der Bühne, da kann ich viele Leben ausleben …»