Barbara Honigmann «Ich bin fröhliche Melancholikerin»
Zugehörigkeit ist ein zentrales Thema in Barbara Honigmanns Werken. Die jüdisch-deutsche Autorin erhält den diesjährigen Max-Frisch-Preis.
Inhalt
Kulturtipp 10/2011
Letzte Aktualisierung:
04.03.2013
Claudine Gaibrois
«Soll ich uns einen Kaffee machen?», fragt Barbara Honigmann. Unkompliziert hantiert die quirlige 62-Jährige in ihrer Küche, bittet um Hilfe beim Aufschrauben des Kaffeekochers und zeigt Fotos von ihrem dritten Enkelkind. Seit ihrem Umzug ins elsässische Strassburg vor gut 25 Jahren lebt die Berliner Autorin mit ihrem Mann in derselben bescheidenen Wohnung – ihre beiden Söhne sind längst ausgeflogen. Ihren neuen Wohnort hat die jüdisch-deutsche ...
«Soll ich uns einen Kaffee machen?», fragt Barbara Honigmann. Unkompliziert hantiert die quirlige 62-Jährige in ihrer Küche, bittet um Hilfe beim Aufschrauben des Kaffeekochers und zeigt Fotos von ihrem dritten Enkelkind. Seit ihrem Umzug ins elsässische Strassburg vor gut 25 Jahren lebt die Berliner Autorin mit ihrem Mann in derselben bescheidenen Wohnung – ihre beiden Söhne sind längst ausgeflogen. Ihren neuen Wohnort hat die jüdisch-deutsche Familie seinerzeit ganz bewusst ausgewählt, weil in der Strassburger jüdischen Gemeinde «viel läuft», wie es Honigmann formuliert. Zusammen haben sich ihr Mann und sie seit ihrer Begegnung in Ostberlin vor über 30 Jahren ans Judentum angenähert – ein «gemeinsames Projekt, das uns ewig Stoff zum Diskutieren liefert».
Als Französin fühlt sich Honigmann auch nach all den Jahren nicht, das französische Savoir-vivre sagt ihr wenig; es langweilt sie, wenn ihre Bekannten übers Essen reden. Auch französische Bücher, etwa ihren Lieblingsautor Proust, liest sie in deutscher Übersetzung: «Deutsch ist meine Muttersprache, sie spricht zu meinem Herzen.»
Honigmann, die sich selbst als «grosse Quatschtüte» bezeichnet, unterhält sich spürbar gerne mit Menschen, liebt das lebendige Gespräch – und wirkt gleichzeitig ein wenig schwermütig. «Ich bin eine fröhliche Melancholikerin», sagt Honigmann über sich. «Ich bin temperamentvoll und kein Trauerkloss, gleichzeitig suche ich Trost und bin traurig.» So wird die Autorin sehr ernst, wenn sie auf ihre autobiografisch geprägten Bücher zu sprechen kommt. Ihre Eltern, assimilierte Juden, waren Kommunisten. Sie lebten während des Holocaust in England und kehrten nach dem Krieg nach Deutschland zurück – in die DDR, um beim Aufbau des Landes mitzuhelfen. Obwohl sie es nicht wollten, wurden sie als Juden kategorisiert. «Ich bin mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass es ein Wir – die Juden –, und die Anderen – die Deutschen – gibt.» Diese Themen haben «etwas gleichnishaftes», betont die Autorin, die explizit keine historischen Bücher schreibt. «Die Frage, ob man zu einer Gruppe gehört oder ausgegrenzt wird, versteht jeder.»
In der Erzählung «Roman von einem Kinde» aus dem gleichnamigen Erzählband von 1986 (Erstveröffentlichung) etwa sagt die Ich-Erzählerin: «Es ist ja auch manchmal so ein Gefühl, wenn man abends in die hellen Fenster vom gegenüberliegenden Haus sieht. Da ist alles so friedlich und glücklich in sich abgeschlossen, und ich werde dann ganz sehnsüchtig und denke, hinter diesem Fenster, da wissen sie, wie alles gehen muss.»
[Buch]
Barbara Honigmann
Roman von einem Kinde
116 Seiten
(dtv 2001).
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