Barbara Bürer - «Es ist jedes Mal spannend»
Die «Nachtwach» von SF 1 und Radio DRS 3 vermittelt dem Publikum Einblicke in die Abgründe der menschlichen Seele. Unter der Leitung von Moderatorin Barbara Bürer.
Inhalt
Kulturtipp 01/2012
Letzte Aktualisierung:
12.11.2019
Rolf Hürzeler
Ein Telefonanruf zu nachtschlafender Zeit im Studio des Schweizer Fernsehens: Die 71-jährige Marianne kann keine Kirchenglocken mehr hören. Sie musste vor 20 Jahren ihren geliebten Sohn zum Grab begleiten, nachdem er den Drogentod starb. Mit tränenerstickter Stimme erzählt sie von dieser Beerdigung, die ihre Seele bis heute belastet. «Ich hatte das Gefühl, alles ist zu Ende, alles.»
Marianne telefoniert in der Sendung «Nachtwach»...
Ein Telefonanruf zu nachtschlafender Zeit im Studio des Schweizer Fernsehens: Die 71-jährige Marianne kann keine Kirchenglocken mehr hören. Sie musste vor 20 Jahren ihren geliebten Sohn zum Grab begleiten, nachdem er den Drogentod starb. Mit tränenerstickter Stimme erzählt sie von dieser Beerdigung, die ihre Seele bis heute belastet. «Ich hatte das Gefühl, alles ist zu Ende, alles.»
Marianne telefoniert in der Sendung «Nachtwach» mit der Moderatorin Barbara Bürer. Das Programm geht jeden Dienstagabend ab Mitternacht über die Sender des Schweizer Fernsehens und von Radio DRS 3. Im Mittelpunkt stehen oft allgemeine Themen wie «Ein Wendepunkt im Leben» oder intimere wie «Leben ohne Sex».
In der «Nachtwach» wird nicht nur geweint. Da ruft auch die lebensfrohe Ungarin Sophie an. Sie fand ihren Schweizer Mann während des Kalten Krieges in Budapest in einer Konditorei beim Vermicelles-Essen. Die Nascherei brachte Glück, denn sie heiratete den Zufallsbekannten später.
Das sind Menschenschicksale in der «Nachtwach», der Fernsehsendung, in der am wenigsten passiert und doch das pralle Leben spürbar ist – wie nirgends sonst im Programm. Die Zuschauer sehen einzig die Moderatorin Barbara Bürer im Studio: Sie redet mit ruhiger Stimme in die Kamera, die Anrufenden bleiben unsichtbar. Etwa 30 000 Menschen schauen in der ersten Morgenstunde des neuen Tages dieses Steinzeitfernsehen, rund 30 000 hören die Sendung auf DRS 3.
Die Rapperswilerin Barbara Bürer ist eine erfahrene Journalistin, die für den «Tages-Anzeiger» oder die «Zeit» geschrieben hat und für Radio und Fernsehen tätig war. Seit fast fünf Jahren hört sie sich einmal die Woche menschliche Schicksale an – stumpft das ab? «Ich finde es jedes Mal von Neuem spannend», sagt sie, «weil man hier die unglaublichsten Geschichten hört.» Sie berichtet von einem Mann mit gut bürgerlichem Hintergrund, der sich aus Langeweile für eine Verbrecherlaufbahn entschied. In Basel wurde er eingebuchtet; kurzzeitig gelang ihm die Flucht. Nach verbüsster Strafe führt er heute eine Internetbude als anerkanntes Mitglied der Gesellschaft. Und er langweilt sich nicht mehr.
Die «Nachtwach» ist voyeuristisch. Wer einschaltet, wartet darauf, vom Schrecken dieser Welt zu hören. Aber die Sendung ist mehr als Effekthascherei. Sie zeigt dem Publikum, wie Menschen ihr Leben bewältigen, und sei es noch so unerbittlich. Etwa wenn eine Frau abgeklärt von ihrer verpfuschten Kindheit als Vollwaise berichtet und später als Mutter ihre Tochter nach langer Krankheit verliert. In solchen Fällen kommen die Qualitäten der Moderatorin zum Tragen. Statt die Frau zu bemitleiden, fragt sie: «War der Tod der Tochter eine Erleichterung?» Natürlich war er auch das, trotz der Verzweiflung.
Alle Sendungen können auch auf www.nachtwach.sf.tv nachgehört werden. Dort findet man auch den Link zum Blogg.