Willie Sutton (1901–1980) war schon zu Lebzeiten eine Legende. Weit über die Grenzen Amerikas hinaus sorgte der Bankräuber für Schlagzeilen. «Als grössten ausgekochtesten Bankräuber der Vereinigten Staaten» bezeichnete ihn etwa der deutsche «Spiegel» in den 50ern.
Willie Sutton wurde 1901 in New York geboren und wuchs in Brooklyn in einer irisch-amerikanischen Familie mit vier Geschwistern auf. In den wirtschaftlich schlechten 20er-Jahren geriet der junge ausbildungs- und arbeitslose Mann auf die schiefe Bahn und wurde zum Bankräuber: Über 100 Banken hat Willie Sutton bis 1952 ausgeraubt und dabei fast zwei Millionen Dollar erbeutet. Voller Dreistigkeit war sein Vorgehen, auch Waffen waren im Spiel, doch ein Schuss fiel nie.
Wie Robin Hood
«Seit ich ein Junge war, war Sutton für mich der Inbegriff von New York und allem Männlichen», schreibt der US-amerikanische Schriftsteller J.R. Moehringer in seinem Vorwort zum Roman «Knapp am Herz vorbei». Und der 49-jährige New Yorker erinnert sich, dass seine Grosseltern und ihre Bekannten voller Bewunderung von Sutton sprachen, als sei er ein neuer Robin Hood.
Sutton war eine Art literarischer Krimineller der US-amerikanischen Geschichte. Ob im Gefängnis, auf der Flucht oder im Versteck vor der Polizei, er war nie ohne Bücher. Selbst in seiner FBI-Akte fand Moehringer Hinweise auf den Wissensdurst des intelligenten Kriminellen: «Sutton war römisch-katholisch, aber sein Glaube wurde durch Lektüre zerstört. Verbrachte den Grossteil seiner Zeit mit Lesen, ging alle zwei Wochen ins Kino, alle sechs Monate ins Theater, besuchte Footballspiele, machte lange Ausflüge mit dem Auto und rauchte. Las Klassiker.» Und er schrieb. Gleich zwei Autobiografien verfasste Sutton. Diese widersprachen sich allerdings so sehr, dass niemand wusste, was Wirklichkeit und was Erfindung war.
Literarisches Denkmal
J.R. Moehringer hat der nationalen Räuberlegende ein literarisches Denkmal gesetzt. Sein Roman ist eine fiktive Biografie, in der er sich sachte einem Menschen nähert, der sich von zwei Dingen getrieben fühlte: Dem Hass auf das Bankensystem – denn Banker waren für Sutton die Wurzel allen Übels – und von seiner verlorenen grossen Liebe Bess.
Moehringer, der 2005 mit seinem Roman «Tender Bar» die Bestsellerlisten stürmte, verzaubert in seinem neuen Roman die Leser mit traurig-zarten Geschichten über einen liebenswürdigen Kriminellen, wie ihn nur die 30er- und 40er-Jahre hervorbringen konnten. Romantisch, aber nie sentimental, wunderbar entspannend. Vielleicht real, vielleicht auch nicht. Denn J.R. Moehringer warnt den Leser vor Verblendung, wenn er schreibt: «Dieses Buch ist eine Vermutung. Und zugleich ein Wunsch.»
J.R. Moehringer
«Knapp am Herz vorbei»
444 Seiten
Aus dem Englischen von Brigitte
Jakobeit
(Fischer 2013).
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