Ihre Heimat Bosnien und Herzegowina steckt 2003 gerade in einer bleiernen, von Korruption, Intoleranz und Nationalismus geprägten Nachkriegszeit. Wer es da als Künstler schaffen will, ist gut beraten, sich auf eine Seite zu schlagen und die «richtigen» Töne zu treffen. Die zu dieser Zeit gegründete Band Dubioza Kolektiv, «Zwielichtiges Kollektiv» oder im bosnischen Slang auch «Leute, denen das Wasser bis zum Hals steht», schert sich aber einen Teufel darum: Sie macht sich über die Dogmen und die Propaganda lustig, fordert Toleranz, Respekt und Zusammenhalt. Auf der Bühne erscheinen die sieben Musiker konsequent in gelben Trikots. «Coole Rockstars kommen immer ganz in Schwarz daher. Wir entschieden uns für Gelb, weil es die idiotischste Farbe für Rockmusiker ist. Sie ist zudem auf der Bühne besser sichtbar», sagen sie im Gespräch.
Schlagfertig, witzig und oft ziemlich derb
Dubioza Kolektiv tun das Gegenteil von dem, was die Mehrheit für richtig hält. Sie sagen dem Westen, er sei keine freie Welt, sondern nur ein freier Markt. Sie spotten im Osten, alle seien käuflich. In «Our music is for free you can download.mp3» fordern sie die Musikindustrie heraus, indem sie die Internetdownload-Plattform Piratebay unterstützen. Sie reimen «Berlusconi» auf «prostitution story», und nach Roma-Hetze in Frankreich «Sarkozy» auf «Parle-vous gipsy». Sie richten Europa aus: «Please don’t get me wrong, I’m sick of being European just on eurosong». Ob in ihrer Muttersprache, Englisch, Italienisch, Spanisch oder Punjabi – Dubioza Kolektiv flüchten nicht in Metaphern. Die Texte sind allerdings nie belehrend, sondern schlagfertig, witzig und oft ziemlich derb. Laut Dubioza besteht keine Gefahr, dass ihr typisch bosnischer, schwarzer Humor ausserhalb des Balkans nicht verstanden werden könnte: «Das mit der Globalisierung ist leider schiefgegangen. Statt einer Europäisierung des Balkans ist es zu einer Balkanisierung Europas gekommen.»
Ein ansteckend-fröhlicher Power-Sound
Zu ihren sozial-kritischen Texten komponiert die Band eine höchst ungewöhnliche Mischung: Zu pumpenden Rhythmen trifft Reggae auf Rock, Ska auf Punk oder Elektro auf Hip-Hop. Das Ganze wird schliesslich von der traditionellen Balkan-Volksmusik abgerundet. Manchmal wechseln bis zu vier, fünf verschiedene Stile in einem einzigen Lied, wie zum Beispiel bei «Balkan Funk» (Dubiozas Interpretation von Fatboy Slims «The Rockafeller Skank»). Doch trotz all dieser stilistischen Salti mortali landen Dubioza Kolektiv immer irgendwie auf den Füssen: Die Übergänge sind fliessend und gelingen mühelos. Es ist unmöglich, ihren ansteckend-fröhlichen Power-Sound zu kategorisieren. Die Band selber bezeichnet ihn als «alles zwischen Rihanna und Nirvana sowie Rock und Kasatschok».
Der stete Wechsel zwischen den Sprachen, Rhythmen und Musikstilen scheint eine unerschöpfliche Energiequelle zu sein. Dubioza Kolektiv spielen über 100 Konzerte jährlich. Grosse Festivalbühnen wechseln sich mit Fussgängerzonen ab, Grossbritannien mit Bulgarien, Indien mit Bosnien, Krakau mit Aarau. Und überall das gleiche Bild: Schon nach den ersten Tönen hüpft das Publikum, um am Schluss komplett auszuflippen. Auf die Frage nach Müdigkeit bei so vielen Auftritten heisst es trocken: «Es ist deutlich weniger anstrengend, mit der Gitarre auf der Bühne zu stehen, als in einer Kohlenmine arbeiten zu müssen.»
Bissige «Hymne der Generation»
Zwischen den Auftritten nimmt die Band jeweils neue Songs auf. Das neue, vor ein paar Tagen veröffentlichte neunte Album heisst «Pjesmice za djecu i odrasle» («Lieder für Kinder und Erwachsene»). Im Videoclip zur Single-Auskopplung «Himna generacije» («Die Hymne der Generation») verlassen Menschen in Eile ihre Wohnungen und rennen durch Sarajevo. Auf die immer grösser werdende Menschenmenge warten Polizisten in Schutzanzügen. Doch kurz bevor es kracht, biegen die Leute ab. Sie rennen weiter auf ein Gebäude zu mit der Aufschrift: «Totaler Ausverkauf». Dubioza singen dazu: «Das ist die Hymne der Generation, wir sind im Arsch der Zivilisation». Man lacht nur zuerst.
Gratis-Album – live für einen guten Zweck
Das neue Album von Dubioza Kolektiv kann man gratis herunterladen – auf www.dubioza.org und auf Piratebay.
Am Sa, 16.12., ist Dubioza Kolektiv am Festival Espérance in Musica in Chiasso live zu hören. Der Eintritt kostet 15 Franken. Der Erlös des Abends geht an den Verein esperance acti, welcher der armen Bevölkerung von Vietnam, Laos und Kambodscha hilft.
Festival Espérance in Musica
Sa, 16.12., ab 19.00
Palapenz Chiasso TI
Mit Dubioza Kolektiv
Und: RE Funk, Sweaty Bells, The Vad Vuc und The Fighettas
CD
Dubioza Kolektiv
Pjesmice za djecu i odrasle (2017).