Die kleine Lok sieht aus, als habe jemand eines der legendären Gotthard-Krokodile geschrumpft. Zwei Achsen, kurze Schnauze, ein winziges Führerhäuschen – ein niedliches Ding, dieser Ta 969. Der Akku-Rangiertraktor von 1918 ist nur knapp über drei Meter lang. Für einen eigenen Kosenamen ist er freilich gross genug: Tintenfisch. Schliesslich saugte er sich einst mit Magnet-Puffern fest, wenn er Wagen über das Areal der SBB-Werkstätte Olten zog. Seit April steht er nun im aargauischen Windisch überdacht vor dem Hauptsitz der SBB Historic.
Der langgezogene, nüchterne Bau liegt etwas versteckt zwischen einer Anhöhe und einigen Abstellgleisen. Zehn Minuten dauert der Weg zu Fuss vom Bahnhof Brugg hierhin, vorbei an einigen Schrebergärten und unzähligen Trommeln der Kabelfabrik. Zweifelsohne belebt die kleine Denkmallok den Ort etwas. Und schliesslich feiert die Stiftung dieses Jahr ihren 20. Geburtstag.
Die ganze Geschichte des Bahnlands Schweiz
Seit 2001 sammelt und pflegt SBB Historic Objekte der Schweizer Bahngeschichte. Zu den Beständen gehören heute rund 200 Schienenfahrzeuge, das historische Archiv der SBB, das Archiv der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM), Tausende von Bildern, Filmdokumenten und Plakaten, unzählige Objekte aus dem Bahnalltag.
Für all das verantwortlich ist Geschäftsführer Stefan Andermatt. Es sei eine schöne Aufgabe, die Bahngeschichte in einem Land wie der Schweiz dokumentieren und zeigen zu können, sagt Andermatt in einem Sitzungszimmer im ersten Stock des Gebäudes. «Blicken wir auf unsere Kultur- und Wirtschaftsgeschichte zurück, war die SBB entscheidend für die Entwicklung des Landes. Und denken wir an Versorgung und öffentlichen Verkehr, ist sie es noch heute.»
Während er diese Sätze sagt, geben die Fenster den Blick frei auf einen schweren Güterzug mit Schiffscontainern, der über den Bahnviadukt von Brugg rollt. Und jenseits der Gleise, auf der alten Depotanlage von Brugg, sind einige historische Wagen und Lokomotiven zu erkennen. Die Schweiz, ein Bahnland.
In dessen Geschichte taucht ein, wer das Lager des Hauptsitzes von SBB Historic betritt. Wo SBB-Mitarbeiter einst ihre Arbeitskleidung bezogen, sind seit 2015 alle Archive und Objektsammlungen unter einem Dach vereint. Elegante Pilzsäulen stützen hier die Decken ab und verleihen den Lagerräumen etwas Höhlenhaftes: Eine Schatzkammer für Bähnler. In grossen Rollregalen stehen etwa alte Kursbücher und zahlreiche weitere Dokumente, welche Besucher im Lesesaal der Bibliothek einsehen können. Weiter hinten lagern rund 6000 Bahnplakate. Eine kleine Auswahl ist für Besucher an Rollwänden aufgehängt.
Historisches Erbe für jedermann zugänglich
Eine Etage weiter unten findet man so allerlei aus dem Bahnalltag von einst: kleine Draisinen, Weichenlaternen und Wappenschilder von Lokomotiven. Musikautomaten aus Wartesälen, Bahnhofsuhren und Sitzgarnituren aus Personenwagen. Ölkännchen, Uniformmützen und das 1:10 Modell einer Lok der Zürcher S-Bahn. Manches, wie etwa der alte Billettschalter vom Bahnhof Inkwil BE, stammt von einer Privatperson. Eine Schienensammlung wiederum wurde der Stiftung von der SBB-Bahntechnik übertragen. Und über die Ausmusterung einer Perron-Sitzbank mit Plakatwand wurde SBB Historic von einem aufmerksamen Mitarbeiter der betreffenden Abteilung bei der Bahn informiert.
Ziel sei es, das historische Erbe der SBB einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sagt Stefan Andermatt. Die historischen Loks und Wagen können Interessierte auf den Führungen in den Depots der Partner-Vereine oder auf Ausfahrten erleben. Und die Sammlung in Windisch betreibt die Stiftung als sogenanntes Begehlager. Interessierte erhalten auch dort die Möglichkeit, diese Bestände auf Führungen und szenischen Begehungen mit Schauspielern kennenzulernen – das nächste Mal im kommenden September. Parallel dazu ist SBB Historic dabei, die Fotos und Plakate nach und nach zu digitalisieren.
Erlebnisfahrten mit historischen Loks
Auf die Sammlung greifen laut Andermatt die unterschiedlichsten Menschen zurück: «Vom Akademiker, der Unterlagen für eine Forschungsarbeit benötigt, über den Modellbahner, der Originalpläne braucht, bis zum Schriftsteller, der eine Bahnreise in den 1930er-Jahren beschreiben möchte.»
Dass die Arbeit von SBB Historic bei allem Enthusiasmus nicht ohne Herausforderungen ist, gibt Stefan Andermatt aber unumwunden zu. «Auch wenn es für jedes Objekt genügend Gründe gäbe, um es zu bewahren – wir können nicht einfach alles sammeln.» Das gilt vor allem für Rollmaterial. Aktuell hat SBB Historic einige sogenannte Einheitswagen I in ihren Bestand aufgenommen. Diese Personenwagen standen bei der SBB in grosser Stückzahl im Dienst, bestimmten also über Jahrzehnte den Schweizer Bahnalltag. Aber gerade Lokomotiven und Wagen benötigten viel Platz, sagt der Geschäftsführer von SBB Historic. «Und nur schon einen Teil der umfangreichen Fahrzeugsammlung betriebsfähig zu halten, kostet viel Geld.»
Wohlüberlegte Aufnahme von Sammelgütern
Vom Fenster des Sitzungszimmers aus ist jetzt eine Regionalzug-Komposition aus den frühen 1980ern zu sehen, die Richtung Bahnhof Brugg fährt. Ob eine solche Garnitur einst in die Sammlung von SBB Historic aufgenommen wird? Wir werden es sehen. Und sonst findet sich vielleicht eines Tages wenigstens eine Sitzgarnitur daraus irgendwo im Lager in Windisch. Dafür sollte der Platz noch reichen in der Schatzkammer.
Anlässe von SBB Historic
Depotführung Olten SO
Sa, 29.5., 09.30 und 14.00
Anmeldung erforderlich: 056 566 52 22 oder info@sbbhistoric.ch
Depotführung Erstfeld UR
Sa, 5.6., 14.00
Anmeldung erforderlich: info@historic-erstfeld.ch
(Fitnessfahrten historischer Loks: 10.00–12.00)
Ausstellung in der Rotonde Delémont JU
Sa, 5.6., 13.30–16.30
Erlebniszug San Gottardo
Sa, 12.6., 09.45 ab Erstfeld UR
Weitere Anlässe: www.sbbhistoric.ch - Events/Fahrten