Den eleganten Hut tief in die Stirn gezogen, kommt Bae Suah aus der Richtung von Ernesto Netos gigantischer Lismete-Installation «Gaia Mother Tree» zum Treffpunkt am Zürcher Hauptbahnhof. In einem schattigen Café erzählt die Schriftstellerin, die Chemie studiert hat, aus ihrem Leben: «Ich war keine leidenschaftliche Studentin. Mein Professor las einmal sogar eines meiner Laborprotokolle vor – und zwar als schlechtes Beispiel. Meine Sätze seien zu kompliziert und zu wenig verständlich.» Bis heute höre sie dies manchmal von Literaturkritikern über ihre Werke.
Aus einer Fingerübung wurde eine Geschichte
Ihre erste publizierte Geschichte «A Dark Room» sei durch Zufall entstanden. 1990 wollte sie auf ihrem ersten PC das Tastaturschreiben lernen. Sie setzte sich also vor den Computer, ohne je zuvor eine Tastatur oder Schreibmaschine berührt zu haben: «Und da brauchte ich natürlich etwas, um den leeren Bildschirm zu füllen. Als die Geschichte fertig war, landete sie zuerst in der Schublade.» Zwar beherrschte sie da das 10-Finger-System noch nicht, doch nun wusste sie, dass sie schreiben kann.
Nach dem Studium arbeitete Bae Suah als Beamtin im Verteidigungsministerium und auf einem Flughafen. An den Wochenenden schrieb sie. «Ich ahnte nicht, wohin mich das Schreiben führen wird», sagt sie. 2001 verbrachte sie ein Jahr in Berlin und schrieb «A Greater Music» – ein Buch, in dem sich eine Protagonistin in Berlin verliert, die kaum Deutsch spricht.
Seither kehrt sie immer wieder nach Europa zurück, am liebsten nach Berlin. Seit Juli nun ist Bae Suah in Zürich, als «Writer in Residence» am Literaturhaus. Sie geniesst die selbst gewählte Einsamkeit, die dem Schreiben förderlich sei. Die Autorin mag die Ruhe. An Zürich gefällt ihr besonders der «milde» Sommer, denn die Luftfeuchtigkeit sei geringer als in Korea.
Sie übersetzt Kafka und Walser ins Koreanische
Ist sie bei diesen Temperaturen also fleissig am Schreiben? «Überhaupt nicht. Ich bin sehr faul», entgegnet sie und ergänzt: «Schreiben Sie das ruhig. Es ist keine Schande.» Trotz dieser vermeintlichen Faulheit hat sie in den letzten 25 Jahren zahlreiche Erzählbände, Romane und Essays veröffentlicht. Auf Deutsch erscheint diesen Herbst ihr Roman «Die niedrigen Hügel von Seoul», in dem ein leerer Bahnhof zur Bühne für eine Gruppe von Emigranten wird.
Wenn Bae Suah gerade nicht am nächsten Buch schreibt, übersetzt sie Franz Kafka, Christian Kracht oder Robert Walser ins Koreanische. Besonders die Übersetzung von Walser sei für sie eine grosse Freude gewesen.
In Korea arbeitet sie vor allem an literarischen Übersetzungen, in Europa hingegen an eigenen Werken: «Ich brauche Distanz, um zu schreiben, und das Gefühl, nicht zu Hause zu sein. Wenn ich unterwegs bin, nehme ich mehr Einflüsse und mehr seelische Elektrizität in mich auf.»
Bae Suahs Kulturtipps
BUCH
W.G. Sebald: «Schwindel.
Gefühle.» (Eichborn, 1990)
«Sebalds Sprache fasziniert mich durch ihren starken Rhythmus. Ich liebe ihn als Leserin und als Übersetzerin ins Koreanische. Als Übersetzerin mag ich ihn sogar noch mehr. Seine Sprache wird nie ihre Faszination verlieren.»
CD
Olafur Arnalds: «Saman» (2018)
«Fast am wichtigsten punkto Musik ist für mich: Kann ich sie beim Übersetzen oder Schreiben hören? Nicht im Hintergrund, sondern als Musik, die mir hilft, mich zu inspirieren. Arnalds tut das.»
FILM
Chris Marker: «Sans Soleil» (1983)
«An diesem Film liebe ich am meisten die literarische Narration von Chris Marker. Nicht mehr und nicht weniger.»