Lichtschattierungen und Farben, Geräusche und Gerüche, pulsierende Rhythmen und Musik: Das alles verdichtet sich in Ayanna Lloyd Banwos Debütroman zu einem wirbelnden Reigen rund um Leben und Tod.
In üppig-bildreicher Sprache erzählt die Autorin von dem jungen Rastafari Emmanuel Darwin, der für seinen neuen Job als Totengräber in der fiktiven Stadt Port Angeles auf der karibischen Insel Trinidad einiges aufgeben muss. Denn eigentlich verbietet ihm seine Rastafari-Religion, sich mit Toten zu umgeben. Aber die Arbeitslosigkeit lässt ihm keine andere Wahl.
Und so will seine alleinerziehende Mutter, die er mit dem Verdienst unterstützen möchte, mit ihrem geliebten Sohn nichts mehr zu tun haben. Emmanuel bricht schweren Herzens in die Stadt auf und beginnt seine Arbeit auf dem Friedhof, wo er bald mit zwielichtigen Typen in Konflikt gerät.
Verknüpfung von Totenkult und Geisterglauben
Der zweite Handlungsstrang dreht sich um die junge Yejide, die auf der ehemaligen Kakaoplantage Morne Marie lebt, dicht neben dem wild wuchernden Dschungel. Als ihre Mutter stirbt, übernimmt sie ein schweres spirituelles Erbe: Denn auserwählte Frauen der Familie sind mit dem Reich der Toten verbunden. Bei den lebenden Menschen sehen sie in unterschiedlichen Farbnuancen den Tod. Ebenso sind sie mit den Toten in Kontakt, deren Empfindungen sie spüren.
Die 43-jährige, in London lebende Autorin, die in Trinidad geboren wurde, erzählt aus zweifacher Perspektive: aus Sicht des bodenständigen Emmanuel und aus Sicht von Yejide, die sich oft in anderen Sphären bewegt.
In ihrem Roman verknüpft Ayanna Lloyd Banwo Geisterglauben und Totenkult aus Trinidad mit der mystischen Schöpfungsgeschichte rund um die «Corbeaux»: Rabengeier, die an der Grenze zwischen den Lebenden und den Toten stehen. Fantastisches und Realität lässt sie verschmelzen. Etwa wenn Emmanuel und Yejide sich in einem sturmumtosten Traum begegnen – und sich später auf dem Friedhof in Port Angeles sofort wieder erkennen und wissen, dass sie füreinander bestimmt sind.
Reise in eine unbekannte, magische Welt der Karibik
Die Autorin, von der bisher vor allem Kurzgeschichten erschienen sind, scheut sich nicht vor den grossen, in bildreicher Sprache dargestellten Gefühlen. Sie begleitet ihre Leserinnen und Leser in diese unbekannte, magische Welt der Karibik, wo der Geisterglaube tief verwurzelt ist.
Im letzten Teil nimmt der dichte, atmosphärische Roman, der von Michaela Grabinger gekonnt aus dem trinidad-kreolischen Englisch übersetzt wurde, nochmals an Fahrt auf und spielt gar mit Horror-Krimi-Elementen. Werden sich die Liebenden beim Showdown auf dem Friedhof wiederfinden?
Ayanna Lloyd Banwo, «Als wir Vögel waren», 352 Seiten, Diogenes 2023