Wer ist das, dieser Kopf? Sind Sie das vielleicht, geschätzte Leserin? Oder Sie, Herr Leser? Oder ist das etwa Hans Arp, der Ehemann der Gestalterin, die diese Plastik geschaffen hat (siehe Bild rechts)? Alles ist möglich, nichts ist undenkbar. Denn diese Skulptur ist ein Dada-Kopf der Schweizer Künstlerin Sophie Taeuber-Arp (1889–1943), eine der Avantgardistinnen der Schweizer Kunst.
Der Kunstkritiker Juri Steiner bringt die Bedeutung dieser Künstlerin im Dokumentarfilm «Die bekannte Unbekannte» auf den Punkt: «Sie wollte in tiefe Schichten vordringen, wo die Kunst bisher nicht war.» Zum Beispiel, indem sie sich intensiv mit der afrikanischen Kunst beschäftigte, deren Einfluss in dieser Plastik unübersehbar ist.
Dada-Mitbegründerin
Sophie Taeuber-Arps Leben war ungewöhnlich. Sie kam in Davos zur Welt, ihr früh verstorbener Vater war ein deutscher Apotheker, die Mutter eine Appenzellerin. Die junge Sophie wuchs in Trogen auf, wo ihre Mutter ein Studentenheim führte. Diese erkannte die Talente ihrer Tochter frühzeitig und förderte sie zielgerichtet. So beschäftigte sich das junge Mädchen intensiv mit Textilien und bekam eine formale Ausbildung an der damaligen Ecole des arts décoratifs in St. Gallen.
Sophie Taeuber kam 1914 nach Zürich. Die Stadt zog in jener Zeit des Ersten Weltkriegs Künstler, Querdenker, kritische Geister und Avantgardisten aller möglichen Bewegungen an. Zürich war, für kurze Zeit zwar nur, aber dafür umso intensiver: Dada. Die junge Künstlerin Sophie Taeuber gehörte zu den Mitbegründern dieser Bewegung rund um das Cabaret Voltaire mit all den bekannten Exponenten von Hugo Ball und Emmy Hennings über Tristan Tzara bis eben zu Hans Arp. Die beiden wurden ein Paar.
Er war immer berühmter als sie – stand sie in seinem Schatten? Das Verhältnis der beiden Künstler ist ein beliebtes Feld der Spekulation, zumal der Verdacht nahe liegt, dass sie ihre Laufbahn zu seinen Gunsten hinten- anstellte. Eine schlüssige Antwort findet sich in einem Aufsatz der deutschen Taeuber-Arp-Kennerin Gabriele Mahn, den sie im Buch «Karo Dame» über «Konstruktive Kunst» schrieb: «Sie konnte durch ihn wirken, der im Vordergrund stand und ihr als ‹Sprachrohr› diente.» Laut Gabriele Mahn konnten die beiden gegenseitig voneinander profitieren.
Wobei Sophie Taeuber-Arp jahrelang für die materiellen Grundlagen des Paars sorgte, sie unterrichtete an der Zürcher Kunstgewerbeschule, eine Tätigkeit, die Arp zu würdigen wusste: «Scharen junger Mädchen eilten aus allen Kantonen der Schweiz nach Zürich mit dem brennenden Wunsch, unaufhörlich Blumenkränze auf Kissen zu sticken. Sophie gelang es, die meisten zum Quadrat zu führen.» Welche Lehrperson erhält schon so viel Anerkennung?
Tanz und Kunst vereint
Sie war ein Multitalent. Das zeigte sich auch beim Tanz. Sophie Taeuber-Arp fühlte sich zum Ausdruckstanz des ungarischen Choreografen Rudolph Laban (1879–1958) hingezogen und besuchte dessen Unterricht, unter anderem auf dem Monte Verità im Tessin. Dabei erkannte sie den Zusammenhang zwischen den geometrischen Formen des Tanzes und der Kunst: «Auf diese Weise hatte sie die Analogie des kreativen Raumes erforschen können, sei er in textilen, choreografischen oder im bildnerischen Bereich», schreibt Gabriele Mahn.
Auftrag in Strassburg
Hans Arp kam ursprünglich aus Strassburg. Dort schaffte sich das Paar in den späten 20er-Jahren die finanzielle Voraussetzung, um als Künstler frei arbeiten zu können. Sie erhielten den Auftrag, die Innenarchitektur eines neuen Kulturzentrums zu gestalten: Das «Aubette» am Place Kléber. Sie zogen den renommierten holländischen Gestalter und Architekten Theo van Doesburg zu. Das Kunstwerk mit einer avantgardistischen Innengestaltung wurde ein Erfolg, weniger beim Publikum, aber umso mehr in Künstlerkreisen. Und der Auftrag ermöglichte es dem Paar, in Meudon bei Paris ein eigenes Haus zu bauen, dessen Innengestaltung inklusive Möbel Sophie Taeuber-Arp besorgte. Zu Beginn der 30er-Jahre erlebte das Paar seine künstlerisch intensivste Zeit.
Der SRF-Dokumentarfilm «Die bekannte Unbekannte» von Marina Rumjanzewa fasst diese Schaffenszeit packend zusammen. Er zeigt, wie das Paar in Meudon im Privaten wie in der Gesellschaft gelebt haben muss. So arbeitete Hans Arp in einem offenen Atelier, das jedermann zugänglich war. Sie dagegen war im obersten Stock tätig, abgeschottet von neugierigen Blicken. «Sie war der Machertyp, selbstkritisch mit Hemmungen, selbst auszustellen», heisst es im Film. Aber dennoch kam der Erfolg.
In jener Zeit wurden zusehends Werke von ihr an Ausstellungen gezeigt, auch wenn die Eigenständigkeit dieser Künstlerin erst 30 Jahre später anerkannt wurde.
Der tragische Unfalltod
1940 marschierten die Nationalsozialisten in Paris ein. Das Paar musste alles aufgeben, floh nach Grasse in Südfrankreich. Und als die Wehrmacht auch dort einzog, flüchteten sie nach Zürich. Hier setzt die Dokumentation ein: Das Paar war beim Zürcher Konkreten Max Bill am 13. Januar 1943 zum Abendessen eingeladen. Es wurde spät, die Arps übernachteten beim Gastgeber. Sophie Taeuber war bereit, sich mit einer Bettstatt in einem Aussenbau zu begnügen. In der frostigen Nacht stellte sie den Gasofen unsachgerecht ein und starb im Schlaf an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung. Die Zürcher Polizei erkannte schnell, dass es sich bei ihrem unzeitigen Tod um einen Unfall handelte. Hans Arp war bis an sein Lebensende 1966 in Basel ein gebrochener Mann.
Das Schweizer Fernsehen strahlt den Film «Die bekannte Unbekannte» im Themenmonat «Die Schweizer» aus. Man strahlt diese Dokumentation zusammen mit zwei andern Produktionen über Frauen als gleichwertige Ergänzung zur kritisierten Reihe über männliche Helden der Schweizer Geschichte (Seite 10) aus. Das ist nicht ganz redlich, weil drei dieser vier Filme schon einmal zu sehen waren. Die Dokumentation über Sophie Taeuber-Arp etwa stand vor einem Jahr im Programm der «Sternstunde».
Egal, das mindert die Qualität dieses Films nicht. Wer die Künstlerin Sophie Taeuber-Arp und ihre Kunst verstehen will, sollte diese Dokumentation gesehen haben.
Sophie Taeuber-Arp
«Die bekannte Unbekannte»
So, 3.11., 11.55/
Do, 7.11., 21.50 SRF 1
Ausstellung – Vorankündigung
Das Aargauer Kunsthaus zeigt im August 2014 eine Ausstellung mit Werken von Sophie Taeuber-Arp.
Die weiteren «Sternstunden» über Frauen auf SRF 1
So, 3.11.
11.00 «Philosophie»:
«Einflussreich und intrigant – Frauen in der frühen Schweizer Geschichte». Mit den Experten Susanne Burghartz, Brigitte Schnegg und Simon Teuscher
So, 10.11.
11.00 Philosophie: «Wahnsinnig, eigen-sinnig – Frauenleben im jungen Bundesstaat»
11.55 «Kunst: «S. Corinna Bille – Das Schreibetier»
12.20 «Kunst»: «Cherchez la femme» – Das Gespräch zur Filmreihe
23.20: «Meret Oppenheim»
So, 17.11.
10.00 «Kunst»: «Manon – Schweizer Pionierin der Performance- und Fotokunst»