Ausstellungen - Yetis Fussabdruck als Kunstobjekt
Zwei Winterthurer Institutionen spannen zusammen: Das Naturmuseum und das Kunstmuseum erzählen den Besuchern wunderbare Objektgeschichten.
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Kulturtipp 13/2012
Rolf Hürzeler
Ein Mensch, oder vielleicht doch nicht ganz? Dieser «Erdrandsiedler» der Erlacher Keramikerin Frida Gärstke ist im Winterthurer Naturmuseum zu sehen. Die Plastik illustriert die neue Ausstellung «Wunderbare Objektgeschichten & Wunderbar» trefflich: Erdrandsiedler gehen auf die Vorstellung der Erde als Scheibe zurück, eine Sichtweise, die zum Teil in der Antike verbreitet war.
Fehlender Hals
Der Erdran...
Ein Mensch, oder vielleicht doch nicht ganz? Dieser «Erdrandsiedler» der Erlacher Keramikerin Frida Gärstke ist im Winterthurer Naturmuseum zu sehen. Die Plastik illustriert die neue Ausstellung «Wunderbare Objektgeschichten & Wunderbar» trefflich: Erdrandsiedler gehen auf die Vorstellung der Erde als Scheibe zurück, eine Sichtweise, die zum Teil in der Antike verbreitet war.
Fehlender Hals
Der Erdrandmensch lässt sich als willkürliche Darstellung eines Menschen interpretieren, der fremd erscheint: Der fehlende Hals fällt auf, Hände und Füsse sind grotesk vergrössert. Er wirkt zwar bedrohlich, aber auch unterwürfig.
Für Konservator Hans-Konrad Schmutz steht diese Figur in der Tradition der «Halbmenschen am fernen Erdrand». Sie sollen in der Wüste oder im Hochgebirge gelebt haben. «Und damit in lebensfeindlichen Zonen», wie Schmutz sagt.
In einem solch unzugänglichen Gebiet haust für viele heute noch der legendäre Yeti, der riesige Zottelmensch in den entlegenen Tälern das Himalaja. Gesehen hat ihn zwar niemand, aber Spuren werden alleweil ausgemacht, wie die Aufnahme eines angeblichen Yeti-Fussabdrucks des Museumstechnikers Daniel Schaffner belegt. Wie verbreitet die Idee des im wörtlichen Sinn Randständigen ist, kommt auch im Wort «Orang Utan» zum Ausdruck, dem Waldmenschen, der im Dschungel von Borneo lebt.
Das Naturmuseum präsentiert solcherart Sammelstücke und illustriert ihre Geschichten dazu. In diese Reihe gehört das Schulterblatt eines Mammuts, das frühere Generationen als Überrest eines Bergriesen verstanden hatten. Oder das aus mittelalterlichen Darstellungen bekannte Einhorn, das den heutigen Betrachter an den Narwal mit seinem Stosszahn erinnert. Kurz: Objekte sind immer das, was der Betrachter in ihnen erkennt.
Auf einem Nenner
Schmutz verbindet mit diesen Objekten die kleine Schau «Wunderbar» im benachbarten Kunstmuseum. Dazu gehören Karikaturen des französischen Zeichners Grandville, der mit seinen Mensch-Tier-Zeichnungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den führenden Kritikern der französischen Gesellschaft gehörte. Ausgestellt sind auch Werke der Neuen Sachlichkeit wie etwa des Basler Künstlers Niklaus Stoecklin und surrealistische Werke aus den Ateliers von Meret Oppenheim oder Max Ernst.
Für Konservator Schmutz lassen sich all diese Werke mit den Objekten seines Naturmuseums auf einen Nenner bringen: «Wir ziehen dem Fremden den Stachel.» Sodass der Erdrandmensch dem Besucher wie der Nachbar nebenan erscheint.