Wo der Mensch scheitert, reüssieren die Pflanzen. Die «Barrande Terrassen», ein Ausflugslokal mit Schwimmbad im Süden von Prag, wartet seit 30 Jahren auf seine Renovation. Heute wuchert üppiges Grün auf dem Gelände. Die österreichische Künstlerin Isabella Hollauf hielt die Rückeroberung der Natur auf dem Foto «Barrandovske terasy» fest: Sträucher quellen aus Ritzen im Schwimmbecken, Bäume recken sich neben dem Sprungturm in die Höhe, bereits machen Äste den Betrachtern gar den Blick auf das Gelände streitig.
Sollen wir uns über eine Natur freuen, die so dominant auftritt? Oder ist Hollaufs Fotografie doch als Mahnmal zu verstehen für all den Raum, den wir Flora und Fauna wegnehmen? «Parlament der Pflanzen» heisst die Ausstellung passenderweise, in der Hollaufs Arbeiten zu sehen sind. Das Kunstmuseum Liechtenstein in Vaduz thematisiert mit dieser Schau unser Verhältnis zur Natur. Und ist damit nicht alleine: Derzeit tun es gleich mehrere Kunstmuseen dem Haus gleich.
«Klimakunst» kommt einem da sogleich in den Sinn. Der Begriff war in den letzten Jahren in aller Munde. Schliesslich hatte sich der weltweite Kulturbetrieb nach dem Start der Klimaproteste 2018 geradezu auf das Thema Umweltschutz gestürzt. In London deponierte der isländisch-dänische Starkünstler Ola-fur Eliasson Arktiseis vor der Tate Modern. Und die Feuilletons und Kultursender diskutierten in der Folge, ob sich Künstler überhaupt zum Thema Umweltschutz äussern sollen.
Mit forschendem Blick auf die Pflanzenwelt
Die aktuelle Reihe von Ausstellungen widmet sich dem Thema Mensch/Natur denn auch vielschichtiger. Christiane Meyer-Stoll etwa, die Kuratorin von «Parlament der Pflanzen», sieht ihre Schau nicht primär im Themenkreis Klimawandel verortet. «Mir ist wichtiger, zu zeigen, wie aussergewöhnlich und reich die Pflanzenwelt ist – sie soll uns wieder ins Staunen versetzen.» So trifft man in der Ausstellung zunächst vor allem auf einen forschenden Blick. Die Bilder des Biologen und Fotografen Jochen Lempert aus der Reihe «Botanical Box» erinnern an wissenschaftliche Abbildungen. Lempert erweitert die Fotos jedoch stets um eine poetische Ebene: Einen echten Salomonssiegel hat er in körnigem Schwarz-Weiss abgelichtet, anderswo lässt er die Gewächse Schatten werfen. Der Schweizer Künstler Uriel Orlow wiederum stellt die Frage: Was können wir eigentlich von Pflanzen lernen? «Learning from Artemisia» etwa erkundet Artemisia afra, die nachweislich gegen Malaria wirkt, aber von der Weltgesundheitsorganisation nicht anerkannt wird.
Neugierig, bewundernd, aber auch kritisch
Um einen neugierigen und bewundernden Blick auf Natur geht es auch in Bern, Zofingen und Zürich. Das Kunstmuseum Bern stellt mit den detaillierten Blumenzeichnungen von Ernst Kreidolf (1863–1956) Zeugnisse unserer Faszination für die Pflanzenwelt aus. Das Kunsthaus Zofingen wiederum widmet sich mit «Baumfänger» der vielschichtigen Bedeutung der Bäume für unsere Kultur und das Ökosystem. Und das Museum Rietberg in Zürich stellt in «Sehnsucht Natur» historische und gegenwärtige Landschaftsdarstellungen aus China einander gegenüber. Liebliche Gemälde aus der Quing- und Ming-Dynastie stehen im Kontrast zu Yang Yongliangs Videoarbeit «Phantom Landscape» von 2006, in der die flüchtigen Landschaften aus der traditionellen Malerei etwas Monströsem gewichen sind. Wolkenkratzer wuchern zu furchteinflössenden Gebirgen. Ausser Baukränen wächst hier nichts mehr.
Eine kritische Auseinandersetzung mit unserer Haltung zur Natur findet sich wohl am deutlichsten im Zürcher Migros Museum für Gegenwartskunst und im Aargauer Kunsthaus. Ersteres beleuchtet mit «Potential Worlds 1: Planetary Memories» unsere Aneignung von natürlichen Ressourcen. Letzteres widmet dem Waadtländer Julian Charrière eine Einzelausstellung. Der ehemalige Eliasson-Schüler ist für seine teils plakativen Öko-Kommentare bekannt. Die Schau «Towards no earthly pole» zeigt aber mit der gleichnamigen Bildserie auch einen subtileren Charrière. Der Künstler beleuchtete nachts Eislandschaften und fotografierte sie ab. Die Natur ist menschenleer und vermeintlich intakt – eine Utopie?
Die Natur ist also nicht nur Sorgenkind in dieser Reihe von thematisch verwandten Ausstellungen. Doch die Schauen machen mal mehr, mal weniger explizit deutlich: Etwas mehr achten dürften wir sie schon. Und uns vor allem von ihr inspirieren lassen. «Wenn wir sehen, was es in der Natur so Tolles gibt, sehen wir vielleicht auch neue Wege zur Lösung aktueller Probleme», sagt Christiane Meyer-Stoll vom Kunstmuseum Liechtenstein. Ihr gehe es deshalb darum, einen positiven Blick in die Zukunft zu richten. Na dann, lasst die Utopien spriessen.
Kunstmuseum Bern: www.sbb.ch/kunstmuseumbern
Aargauer Kunsthaus: www.sbb.ch/aargauerkunsthaus
Ausstellungen
Ernst Kreidolf und die Pflanzen
Fr, 4.9.–So, 10.1. Kunstmuseum Bern
Julian Charrière – Towards no earthly pole
So, 6.9.–So, 3.1. Aargauer Kunsthaus Aarau
Parlament der Pflanzen
So, 6.9.–So, 17.1. Kunstmuseum Liechtenstein Vaduz FL
Sehnsucht Natur – Sprechende Landschaften in der Kunst Chinas
Fr, 11.9.–So, 10.1. Museum Rietberg Zürich
Potential Worlds 1: Planetary Memories
Bis So, 11.10. Migros Museum für Gegenwartskunst Zürich
Baumfänger
Bis So, 11.10. Kunsthaus Zofingen AG