Was werden wir unseren Nachkommen einmal von dieser Zeit berichten? Vermutlich erzählen wir von den Video-Konferenzen mit den Büro-Kollegen und den Abstandslinien im Lebensmittelgeschäft. Von den Gummihandschuhen und Schutzmasken, dem gehamsterten WC-Papier und den teuren Desinfektionsmitteln. Und natürlich von den Plakaten: «Bleiben Sie zu Hause. Bitte. Alle.»
Den veränderten Alltag dokumentieren
Damit diese Zeit nicht in Vergessenheit gerät, spannt das Historische Museum Luzern schon jetzt sein Publikum ein. Für das Projekt «Luzern sammelt Corona» hat das Haus die Besucher aufgerufen, Fotos einzuschicken, welche die Pandemie verbildlichen. «Wir wollen das dokumentieren, was später diese Geschichte erzählen kann», sagt Almut Grüner, Direktorin der kantonalen Museen Luzern. «Wenn wir das jetzt nicht tun, sind diese Dinge weg.» Bereits gingen über 100 Einsendungen ein, die in einer Bildstrecke auf der Museums-Homepage zu sehen sind. Mal witzig, mal poetisch, mal berührend zeigen die Fotos, wie sich der Alltag der Menschen seit Mitte März verändert hat: Altstadtgassen liegen ausgestorben da, Enkel treffen ihre Grosseltern nur auf Distanz, oder Zettel verkünden Durchhalteparolen. Der Zeichner Marcel Krauer nahm den Aufruf gar zum Anlass, eine Reihe von Bildern über den Lockdown einzusenden.
Almut Grüner hat bereits Pläne für dieses Archiv. 2025 wollen sie und ihr Team mit den eingesandten Fotos eine Ausstellung über die Corona-Pandemie umsetzen. «Bis dahin haben wir mehr Abstand – emotional und zeitlich. Und wir können deutlicher sehen, was sich langfristig verändert hat.» Doch fürs Erste sammelt sie weiter. Sie wünscht sich vor allem noch mehr Beiträge von jüngeren Menschen. Und solche aus dem Arbeitsalltag von Leuten, die nicht im Home-Office arbeiten können.
Kunstvermittlung im Internet
Es ist keine neue Idee, dass ein Museum auch von der Bevölkerung mitgestaltet werden kann. Nach den grossen gesellschaftlichen Protest- und Reformbewegungen hielt die Partizipation in den 1970ern Einzug in die Museumsarbeit. In Deutschland, Frankreich oder den USA entstanden Industrie-, Freilicht- und Nachbarschaftsmuseen, die Anwohner und einstige Arbeiter für die Gestaltung oder die geschichtliche Aufarbeitung einbezogen.
Seit gut zehn Jahren beschäftigt das Thema die Museumswelt wieder vermehrt. Denn heute bieten Internet und Social Media den Häusern die Möglichkeit, ein Publikum direkter anzusprechen und einzubinden. Handkehrum wird von Museen auch verlangt, dass sie die unterschiedlichen Erfahrungen und Realitäten einer heterogenen Gesellschaft spiegeln. Die Partizipation nimmt hier eine wichtige Rolle ein. Die Besucher einer modernen Ausstellung erhalten den Raum für eigene Interpretationen – den Raum, sich selber zu hinterfragen, in den Dialog mit anderen Besucherinnen zu treten, oder sogar selber auf eine Schau Einfluss zu nehmen.
Die letzten Wochen haben gezeigt, wie zentral dieser Austausch mit dem Publikum in der Arbeit vieler Museen und Projekte mittlerweile ist. Etwa, wenn es um die Kunstvermittlung geht. Die Kunstmuseen in St. Gallen und Luzern, das Haus Konstruktiv in Zürich und viele weitere Häuser schalteten auf ihren Homepages Aufgaben für Kinder und Familien auf. Das Publikum ist eingeladen, sich kreativ mit einzelnen Werken oder Ausstellungsthemen zu beschäftigen. Die Zeichnungen, Bilder und Skulpturen, die so entstehen, werden wiederum auf den Social-Media-Kanälen der Museen gezeigt.
«Mache deine eigene Ausstellung»
Auch das digitale Projekt «Musée imaginaire Suisse» zielt darauf ab, aus passiven Betrachtern aktive Kunst- und Kulturinteressierte zu machen. Menschen sollen zu ihrem Lieblingsobjekt aus einem (derzeit digitalen) Museumsbestand eine Geschichte verfassen. Am 17. Mai, dem internationalen Museumstag, wird die überraschendste Geschichte mit einem Museumspass ausgezeichnet.
Noch einen Schritt weiter geht die Kunsthalle Zürich. Das Haus ist bekannt dafür, dass es immer wieder den klassischen Ausstellungsbetrieb durch ungewohnte Veranstaltungen aufbricht. Mit dem Projekt «Mache deine eigene Ausstellung» ruft die Kunsthalle aktuell ihr Publikum auf, eine Schau für einen ihrer Räume zu gestalten. Dafür finden Interessierte auf der Homepage den Grundriss des Saals, sowie eine Anleitung zum Bau eines Ausstellungsmodells. «Wir möchten unsere Besucher aktiv einbinden», sagt die Kunstvermittlerin Seline Fülscher. «Anstatt einfach eine Dienstleistung anzubieten, möchten wir sie anregen, aus ihrem kreativen Fundus zu schöpfen.» Bewusst habe man den Rahmen so gesetzt, um dem Inhalt genug Spielraum zu lassen, so Fülscher.
Das stösst auf Resonanz: Bereits erhielt sie mehrere Kartonmodelle, Arbeiten von Familien, gar internationale Einsendungen. Eine Grafikerin aus Istanbul gestaltete eine Comic-Ausstellung zum Thema Corona, ein älterer Herr aus Italien handelt seine Kindheit als Sohn eines Künstlerpaares ab. Die Idee sei, dass zwischen der Kunsthalle Zürich und ihren Besuchern eine Wechselwirkung entstehe, sagt Fülscher. «Ich sehe dieses Projekt als Chance, die Institution Museum mit ihren Rollen zu hinterfragen.»
Noch bis Mitte Juni können Konzepte eingesandt werden. Ab dem 31. Juli sollen die Ausstellungsideen in einer Schau gezeigt werden. Die Gastkuratorinnen erhalten dann auch die Möglichkeit, ihre Ideen vor Publikum vorzustellen. Ja, Reden halten gehört halt auch zum Kuratoren-Job.
Die Mitmach-Projekte
Luzern sammelt Corona
www.historischesmuseum.lu.ch
! Ausstellungen ! Luzern sammelt Corona
Mache deine eigene Ausstellung
Noch bis Mitte Juni
www.kunsthallezurich.ch
! Blog
Musée imaginaire Suisse
Der Geschichten-Wettbewerb endet am So, 17.5.
www.mi-s.ch/de/mitmachen
Kunstmuseum Luzern
www.kunstmuseumluzern.ch/kinder-familien
Kunstmuseum St. Gallen
www.kunstmuseumsg.ch
! Unser Programm ! Kunstvermittlung
Haus Konstruktiv
www.hauskonstruktiv.ch
! Vermittlung
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