Ausstellungen: Kunst für unseren Planeten
Die Ausstellung «Territories of Waste» im Museum Tinguely in Basel beschäftigt sich mit den Folgen unserer Konsumwelt und Abfallproduktion. Und zeigt: Künstlerinnen und Künstler prangern das alles schon seit Jahrzehnten an.
Inhalt
Kulturtipp 19/2022
Simon Knopf
Abfall verschwindet. Früher verscharrten wir den Kehricht einfach in der Gemeindedeponie am Dorfrand. Heute lassen wir ihn in den Unterflurcontainer vor dem Haus plumpsen. Abfall verschwindet, oder? Wie schön, wäre dem wirklich so. Dass die Realität eine andere ist, deutete schon Eric Hattans düster-witzige Installation «Jet d’OH» von 2000 an. Der Schweizer Künstler liess einen Abfalleimer seinen Inhalt wieder ausspeien. Tetrapak, Sandwichpapier...
Abfall verschwindet. Früher verscharrten wir den Kehricht einfach in der Gemeindedeponie am Dorfrand. Heute lassen wir ihn in den Unterflurcontainer vor dem Haus plumpsen. Abfall verschwindet, oder? Wie schön, wäre dem wirklich so. Dass die Realität eine andere ist, deutete schon Eric Hattans düster-witzige Installation «Jet d’OH» von 2000 an. Der Schweizer Künstler liess einen Abfalleimer seinen Inhalt wieder ausspeien. Tetrapak, Sandwichpapier und Pillenpackung – explosionsartig meldeten die sich zurück. Wiedergänger der Wegwerfgesellschaft. Nun holt das Museum Tinguely in Basel mit einer neuen Gruppenausstellung Verdrängtes an die Oberfläche.
Rohstoffe für den Norden, Abfall für den Süden
«Territories of Waste» vereint künstlerisch Positionen aus gut 60 Jahren, die sich mit Themen wie Rohstoffgewinnung und Abfallentsorgung, mit verwüsteten Landschaften und der sozialen Komponente des Mülls auseinandersetzen. Abfall ist längst ein Teil eines globalen Zirkulationssystems geworden, das sich weitgehend an einer kolonialen Geografie orientiert. Rohstoffe aus dem afrikanischen Kontinent werden in China zu elektronischen Geräten verbaut, die als Schrott wieder auf Halden in Ghana landen. Frachtschiffe europäischer Reeder fugen Güter für die westliche Konsumwelt über die Ozeane, um schliesslich im globalen Süden abgewrackt zu werden. Beides wird in «Territories of Waste» angesprochen. «Trapped in the Dream of the Other» des belgisch-britischen Künstlerduos Revital Cohen & Tuur Van Balen etwa thematisiert die oft ausbeuterische Rohstoffgewinnung, die der Produktion unserer Mobiltelefone und Laptops zugrunde liegt. Die beiden liessen chinesisches Feuerwerk in die Demokratische Republik Kongo verschiffen, um es dort in einer Mine zu zünden. Die Performance von 2016 ist in der Ausstellung als traumwandlerisches Video zu sehen, das eine geschundene Landschaft, Feuerwerksfunken und die schuftenden Minenarbeiter zeigt.
Das Frachtschiff spricht mit dem Werftarbeiter
Der Kurzfilm «All That Perishes at the Edge of Land» von 2019 wiederum spielt an einem der berüchtigten Abwrackstrände im Süden von Pakistan. Filmemacherin Hira Nabi inszeniert einen Dialog zwischen einem Frachtschiff, das demontiert wird, und den Arbeitern auf der improvisierten Werft. Nabi hält den Finger auf ein anhaltendes Problem: Noch immer umgehen etwa europäische Reeder gezielt EU-Gesetze, um ihre ausgedienten Schiffe als Schrott nach Pakistan, Indien oder Bangladesch verkaufen zu können. Dort leiden unter den kruden Demontagetechniken Arbeiter und Umwelt gleichermassen. Freilich zeigt die Ausstellung auch subtilere Arbeiten. Poetisch ist etwa die Installation «The Last Particles» von Anca Benera und Arnold Estefán. Die beiden lassen in einem Video Metallpartikel in Sand aus der Normandie tanzen: feinste Überreste von Militärgeräten der Alliierten-Landung von 1944.
Lassen sich die Besucher ent- oder ermutigen?
Schliesslich blickt «Territories of Waste» auch auf die Geschichte der ökologischen Kunst zurück. Ob sich Besucher von diesem Rückblick ent- oder ermutigen lassen, hängt wohl von der persönlichen Veranlagung ab. Hans Haackes «Rheinwasseraufbereitungsanlage », die auf Fotos präsent ist, deutet an: Seit Beginn der 1970er hat sich bezüglich Gewässerverschmutzung einiges getan. Agnes Denes’ Projekt «Wheatfield» von 1982 wiederum packt einen durch seine Aktualität. Die US-amerikanische Konzeptkünstlerin pflanzte damals auf einer Müllhalde in Lower Manhattan eine knappe Hektare Weizen an; thematisierte so Welthunger und Nahrungsmittelhandel, Monokulturen und Ökologie. Auf den Fotos recken Denes’ Ähren vor dem World Trade Center ihre Köpfe stolz in den Himmel. Ein goldgelb leuchtendes Denkmal all jenen, welche die Erde nicht aufgeben.
Territories of Waste – Über die Wiederkehr des Verdrängten
Mi, 14.9.–So, 8.1.
Museum Tinguely Basel