Solche Besucherinnen hat man gerne. «Sie arbeiten hart, neben ihren Bauernhöfen betreiben sie irgendein Gewerbe oder gehen einer anderen Beschäftigung nach, die sie im Winter vor Müssiggang bewahrt.» Mit diesen Worten beschrieb die englische Queen Victoria 1868 die Schweizer Bevölkerung, als sie sich einen Monat lang von den Strapazen ihres harten, adligen Daseins zu erholen suchte. Als Ferienort wählte sie den Weiler Gütsch ob Luzern; sie residierte nicht im berühmten Château, sondern in der Liegenschaft Wallis, die einem betuchten britischen Landsmann gehörte.
Aufzeichnungen Ihrer Majestät
Die 49-jährige Monarchin litt damals unter dem Tod ihres geliebten Ehemanns Albert sieben Jahre zuvor. Mehr noch setzten ihr die Niederungen der heimischen Politik zwischen den Konservativen und den Liberalen zu. Ihr Freund Benjamin Disraeli war zwar als Premierminister noch an der Macht, erwartete aber bei anstehenden Wahlen seine Abwahl, sodass ihn ein Jahr später der liberale William Gladstone ersetzte, den die Lady nicht ausstehen konnte.
Das Historische Museum Luzern erinnert nun mit der Ausstellung «Queen Victoria in der Schweiz» an den Besuch der Monarchin. Der ehemalige britische Botschaftsrat in der Schweiz, Peter Arengo-Jones, verfasste ein Buch mit dem gleichen Titel dazu. Das Ereignis ist historisch gewiss eine Quisquilie, weil sich die Königin in der Schweiz einzig Ausflügen in die Berge hingab sowie dem Aquarellieren frönte. Zumal sie andere Orte in den Alpen ebenfalls aufsuchte wie Aix-les Bains in Savoyen.
Dennoch lohnt sich die Beschäftigung mit dem Schweizer Besuch noch heute, denn Victoria hielt in ihren Aufzeichnungen jede noch so kleine Begebenheit fest. Sie zeichnete eine Gesellschaftsskizze in den Augen einer Aussenstehenden, die sich trotz ihrer Bildung zu romantischen Begeisterungsstürmen hinreissen liess. Die Aufzeichnungen Ihrer Majestät wurden allerdings von ihrer Tochter Beatrice zensiert. Sie schrieb sämtliche Texte ab und verbrannte die Originale.
Kleinere Friktionen wegen lauter Kegelbahn
Aus heutiger Sicht beeindruckt, wie wenig Aufhebens um den Besuch der Queen in der Schweiz gemacht wurde. Sie reiste zwar vorsichtigerweise unter ihrem ursprünglichen Namen «Herzogin von Kent» in die Schweiz, aber Presse wie Bevölkerung wussten, um wen es sich handelte, zumal die britische Presse die Auslandsreise breit diskutierte. Die Luzerner scheinen kaum Notiz von dem adligen Besuch genommen zu haben, jedenfalls schrieb ihr Vermögensverwalter Sir Thomas Biddulph an den Premierminister: «Es gibt keine Unannehmlichkeiten seitens der Touristen oder Einheimischen, die sich gut benehmen.» Im Vorfeld der Reise wurden übrigens weniger Bedenken wegen aufsässiger Schweizer laut als vielmehr wegen der US-Amerikaner, die damals ebenso wie die Briten die Schweiz als Sehnsuchtsort auserkoren hatten.
Natürlich kam es dennoch zu kleineren Friktionen. So störte das laute Kegeln in der Nachbarschaft der Villa Wallis das zarte Gehör der Monarchin. Auf der Furka blieb ein Gasthof wegen eines Besuchs der Queen während Tagen für das Publikum geschlossen. Abgewimmelte Wanderer machten ihrem Unmut in Leserbriefen Luft. Aber im Grossen und Ganzen wurde der exotische Besuch eher mit Achselzucken zur Kenntnis genommen.
Beste Werbung für den Schweizer Tourismus
Vielleicht erschien den Zeitgenossen die Visite aber nicht so aussergewöhnlich, wie man heute glaubt. Denn die Königin galt als eine «deutsche Monarchin»; ihre Mutter kam aus dem Haus Sachsen-Coburg. Der heute urbritisch tönende Name Victoria war im 19. Jahrhundert deutsch besetzt, und englische Politiker baten die junge Victoria inständig, diesen unenglischen Namen abzulegen. Zudem hatte sie mit Albert einen deutschen Ehemann und blieb ihrem Mutterland stets verbunden. Victoria sprach im Familienkreis vornehmlich deutsch und konnte sich deshalb mit den Schweizern gut verständigen. Der Abt vom Kloster Engelberg, offenbar mit dem englischen Adel wenig vertraut, wunderte sich sehr darüber.
Der Besuch der Queen war für den Schweizer Tourismus beste Werbung. Ihre Aufzeichnungen lesen sich streckenweise wie überschwängliche Tourismus-Prospekte, etwa beim Aufstieg auf den Pilatus: «Wir kamen zu einem der schönsten Flecken, den man sich vorstellen kann; überall verstreut lagen wilde Felsen herum, ausserdem gab es etwas Gras und ‹Senn-Hütten›. Es wachsen dort viele Wildblumen …» Aufzeichnungen wie diese gelangten zwar nicht an die britischen Öffentlichkeit. Die «Times» jedoch berichtete über Königin Victorias Besuch und war des Lobes voll über die Schweiz: «Zum ersten Mal wird die Königin jene Gefilde erkunden, in denen sich hinter jeder Wegbiegung etwas Grossartiges und Seltenes auftut, das zumindest in diesen Gegenden des Globus nichts seinesgleichen hat …» Die damaligen Touristiker haben die Chance erkannt. Zahlreiche Hotels heissen heute «Victoria», ihr Name gehört zum Sonntagsbild der Schweiz.
Wen wunderts, dass die Premierministerin Theresa May ihre Sommerferien jeweils mit ihrem Mann hier verbringt; auch Margaret Thatcher besuchte die Zentralschweiz regelmässig. Ganz abgesehen von den Royals wie den Prinzen Charles oder Andrew, die gerne in Graubünden oder im Wallis weilen.
Ausstellung
Queen Victoria in der Schweiz
Do, 29.3.–So, 16.9.
Historisches Museum Luzern
Buch
Peter Arengo-Jones, Christoph Lichtin
Queen Victoria in der Schweiz
288 Seiten
Aus dem Englischenvon N.G. Schneider
(Hier & Jetzt 2018)