Die stoffbespannten Falthocker warten im Korridor noch immer geduldig auf den nächsten Einsatz – als käme Albert Anker nächstens aus einem der Zimmer, schnappe sich einen davon und verschwinde zum Aquarellieren nach draussen. Die Zeit scheint stehengeblieben in diesem stattlichen Bauernhaus im bernischen Ins – dem Geburts-, Wohn- und Sterbeort eines der bekanntesten Schweizer Maler.
Eine Zeitkapsel für das Publikum
Seit diesem Juni bilden das historische Wohnhaus mit Atelier sowie ein neuer Kunstpavillon das Centre Albert Anker. Dessen betriebliche und künstlerische Leiterin Daniela Schneuwly hat sich an einem Morgen Zeit für eine Führung genommen. Es riecht angenehm nach Holz, während sie Salon, Speisezimmer oder Küche zeigt.
Überall sind der Künstler und seine Familie präsent. Mal deutet Schneuwly auf einen aufgeschlagenen Atlanten des Malers, mal auf den edel gedeckten Esstisch, mal auf ein Fenster, wo früher ein Dienstboteneingang war. «Man sieht deutlich, dass wir in einem gutbürgerlichen Haushalt sind», sagt sie.
In der Küche zeigt sie auf eine gelbe Tonschüssel auf einem Holzbuffet – es ist jene aus Ankers Gemälde «Mädchen, die Haare flechtend». Mit der Eröffnung des Centre Albert Anker ist der Wohnbereich zum ersten Mal für ein Publikum geöffnet. Dass diese Zeitkapsel so überhaupt noch existiert, ist laut Daniela Schneuwly den Nachkommen der Familie Anker zu verdanken.
Sie haben das Haus, das Albert Ankers Grossvater 1803 als Tierklinik mit Wohntrakt erbauen liess, über Jahrzehnte sorgfältig bewahrt. Schneuwly tritt durch die Hintertür in den Garten. Unter dem tiefgezogenen Dach wurde ein Bistrobereich für die Besucher eingerichtet.
Ein Foto auf einer Infotafel zeigt: Auch die Ankers spannten an diesem lauschigen Ort aus. «Die Besucher sollen ins Ambiente des Künstlerhauses eintauchen können», sagt die Kuratorin. Dann geht es weiter in die neue Dauerausstellung auf dem einstigen Heuboden. In 15 thematischen Nischen vermitteln Dokumente und Objekte, Videos und Hörstationen ein teilweise überraschendes Bild des Malers.
Das Highlight ist das Atelier
Albert Anker ist für seine Porträts der Landbevölkerung bekannt, die in der Vergangenheit gern als gemalte Schweiz-Idylle verklärt wurden. Schneuwly möchte weitere Facetten vermitteln: «Albert Anker war ein Kosmopolit. Er hatte ein hohes Bildungsniveau und machte sich über viele Themen Gedanken.»
Das wird hier mehr als deutlich. Die Ausstellung zeigt den Künstler, der in der Weltstadt Paris ebenso zu Hause war wie in Ins. Der sich für Bildung und den Eisenbahnbau interessierte. Den das Wohlergehen seiner Mitmenschen und die damaligen Kriege beschäftigten. Und dem die finanzielle Sicherheit seiner Familie stets mehr bedeutete als ein Leben als Bohemien.
Besonders spannend: Immer wieder kommt Anker in Zitaten zu Wort, zeigt sich selbstkritisch, gewitzt, poetisch. «Es war uns wichtig, ihn selber sprechen zu lassen – wir möchten, dass die Menschen nicht interpretieren, sondern ihm zuhören.»
Dann eines der Highlights des Centre Albert Anker: das Atelier. Daniela Schneuwly öffnet die Rollos über den beiden Dachfenstern. Sanftes Licht fällt in den Raum, der einer barocken Wunderkammer gleicht. Auf einem Maltisch liegen Farbkasten und Pinsel – daneben Requisiten wie jene Ledertasche, mit der seine Tochter für «Bildnis Marie Anker» posierte.
Die Wände sind voll mit Postkarten, Foto- und Lithografien, mit Gipsabdrücken, Nippes, Hühnerfüssen und anderen Kuriositäten. «Für mich verkörpert dieser Raum Ankers Kosmos – seine neugierige Haltung gegenüber dem Leben», sagt Schneuwly.
Wenig später führt sie im Garten an alten Bäumen vorbei und durch eine Trockenwiese zum zweiten Highlight: dem neuen Kunstpavillon. Das von Architekt Marcel Hegg entworfene Gebäude ist einem traditionellen Speicher nachempfunden und dient als Archiv und Ausstellungsort.
Ein bisher unbekannter Albert Anker
Drinnen riecht es nach frischem Holz, das Licht ist zum Schutz der Exponate abgedunkelt. Die erste Wechselausstellung «Licht des Südens» hat Schneuwly dem reisenden Anker gewidmet. Zu sehen sind Notizbücher, Kopien von Renaissancemeistern, gemalte Karten und vor allem seine Reiseaquarelle.
Es sind Arbeiten, die nie zuvor in dieser Fülle öffentlich zu sehen waren. Die impressionistischen Kleinformate zeigen Kirchen, Dörfer und Landschaften, sprich: ein bisher unbekannter Anker! «Mich fasziniert zum Beispiel, wie er Architektur malte», sagt Daniela Schneuwly und deutet auf ein Bild der Abtei Saint-Paul-de-Mausole. Tatsächlich: diese Licht-Schatten-Spiele! Und die Weite, die er den lichtdurchfluteten Ansichten von Venedig oder Mantua verlieh!
Die Wirkung der Aquarelle hält an
Diese Aquarelle hallen auch nach dem Besuch des Centre Albert Anker noch lange nach. An diesem Tag evoziert das Berner Seeland mit den flauschigen Wolken die Landschaften des Südens. Albert Anker würde bestimmt auch diese sommerliche Szenerie wunderbar einfangen. Und wer seine Aquarelle gesehen hat, müsste sagen: typisch Anker.
Das Centre Albert Anker
Aus Platzgründen müssen Ausstellungseintritte für bestimmte Zeitfenster online gebucht werden. Für das Atelier und die historische Wohnung gibt es von Freitag bis Sonntag Führungen.
Ausstellung
Licht des Südens
Bis So, 29.9.
Centre Albert Anker Ins BE
www.centrealbertanker.ch