Sie brummen und quietschen, scheppern und jammern, knarzen und prusten. Jean Tinguelys Kunstwerke lärmen. Aber was sich bewegt, tut dies nun mal meist nicht geräuschlos. Und die Bewegung, die war Jean Tinguely (1925–1991) gewissermassen heilig. «Es bewegt sich alles, Stillstand gibt es nicht» – mit diesen Worten eröffnete er sein Manifest «Für Statik», das er 1959 der Legende nach aus einem Kleinflugzeug über Düsseldorf abwarf.
Düsseldorf, wo Tinguely damals seine erste Einzelausstellung in Deutschland hatte, ist nur eine von vielen Stationen, die in der neuen Schau des Museum Tinguely beschrieben werden. Mit «Et tout ceci est vrai!» feiert das Haus in Basel seinen 25. Geburtstag. Und wie es sich gehört, dreht sich alles um die Bewegung. Die Ausstellung ist eine Zeitreise durch Tinguelys künstlerischen Werdegang. Den vollzog die Schau den Sommer durch auch physisch: Ein umgebautes Frachtschiff brachte sie zu den wichtigen Orten und Wirkungsstätten des Schweizer Plastikers – von Paris über Antwerpen und Amsterdam, dann durch die Metropolregion Rhein-Ruhr bis nach Basel.
Fotos, Filme, Modelle und Originalwerke
An diese Orte entführen einen im Museum Tinguely nun Fotos und Filme, Schriften, Modelle und Originalwerke. Zu sehen gibt es etwa die Klangskulptur «Mes étoiles – Concert pour sept peintures» (1957–1959). Ein partielles Modell der Zeichenmaschine «Méta-Matic No. 17», die 1959 an der ersten Biennale de Paris ausgestellt war. Und ein Relief, das nach Tinguelys Bauanleitung für «Maschinenbild Haus Lange» entstand.
Werke mit wohlüberlegten Bewegungsabläufen
Mit der Ausrichtung dürfte die Jubiläums-Ausstellung dazu beitragen, dass sich unser Bild vom Künstler Jean Tinguely schärft. Denn das kollektive Gedächtnis hat Tinguely seit seinem Tod als eine Art verrückten Erfinder gespeichert: Man mag seine Werke irgendwie, sieht in ihnen aber vor allem witzige Spinnereien. Dabei war Tinguelys kinetische Kunst nie einfach nur Spielerei um ihrer selbst willen. Seine Serie von Zeichenmaschinen erlaubt es den Betrachtern, selber Papier und Stifte einzuspannen und die Apparatur in Gang zu bringen. So hebelte Tinguely das vermeintlich fixe Verhältnis von Künstler, Werk und Betrachter aus – etwas, an dem sich heute die moderne Kunstkuratorik ebenfalls versucht. Auf ähnliche Art lässt «Mes étoiles» Besucher zu Komponisten ihrer eigenen Kakofonien werden. Und die Bauanleitung zu «Maschinenbild Haus Lange» legte Tinguely 1960 dem Katalog zu seiner Ausstellung im Haus Lange in Krefeld bei. Wieso nicht am Wochenende zu Hause das eigene Tinguely-Relief basteln?
Den wohlüberlegten Bewegungsabläufen in Tinguelys kinetischer Kunst wohnt auch immer ein gesellschaftskritisches Moment inne. In einem Fernsehinterview von 1967 sagte der Künstler, seine Maschinen zeugten von «einer unendlichen Sinnlosigkeit, die man mit dem Alltag vergleichen kann». Tatsächlich liessen sich Tinguelys Apparaturen mit ihren Wiederholungen und Leerläufen stets als Spiegel für unser Verhältnis zur technologisierten Welt lesen. Dieses ist seit Jean Tinguelys Tod kaum einfacher geworden. An Bewegung mangelt es in der digitalen Welt freilich nicht, das würde den Künstler wohl freuen. Nur wäre es ihm heute vermutlich etwas zu still. Denn Geräusche entstehen bekanntlich dort, wo etwas für Widerstand sorgt.
Et tout ceci est vrai!
Bis So, 23.1. Museum Tinguely Basel
Buch: Die Tinguely-Clique
Die Familie von Schauspieler Niklaus Talman war mit Jean Tinguely befreundet. In diesem Buch gewährt er anhand von Erinnerungen und privaten Fotos einen Einblick in Tinguelys Umfeld, zu dem Künstlerinnen und Künstler wie Niki de Saint Phalle, Eva Aeppli oder Bernhard Luginbühl gehörten.
Niklaus Talman
Die Tinguely-Clique
200 Seiten
(Weber 2021)