Brrr, ist das kalt! Man spürt geradezu, wie die eisigen Temperaturen den Menschen in die Knochen gehen. In dunkle Mäntel gehüllt, lässt Pieter Bruegel der Ältere sie durch den Schnee stapfen. Dabei spielt sich in «Die Anbetung der Heiligen Drei Könige im Schnee» Grosses ab: Die Weisen aus dem Morgenland besuchen den frisch geborenen Jesus. Aber eben, wen kümmert das bei dieser Kälte im Dorf?
Die Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz» macht Bruegels 35 auf 55 Zentimeter grosse Tafel zum Zentrum ihrer neuen Ausstellung «Das Wunder im Schnee». Der Titel verweist dabei sowohl auf den Bildinhalt als auch auf die Bedeutung des Gemäldes selber. Bruegels Bild von 1563 ist das erste Gemälde in der europäischen Kunst, das fallende Schneeflocken zeigt. Aus einem gelb-grauen Himmel legen sie sich auf eine Szenerie, die typisch ist für die Arbeiten des flämischen Künstlers.
Der Blick des Betrachters wird gelenkt
Pieter Bruegel der Ältere (1525–1569) versammelte Sprichwörter in aberwitzigen Wimmelbildern, zeigte Bauernhochzeiten als Momentaufnahmen und stellte den Turmbau zu Babel in seinem ganzen desaströsen Ausmass dar. Dabei gelangen ihm zwei Sachen ausserordentlich gut: Er verlieh den Handlungen in seinen Bildern Dynamik. Und er stattete die Gemälde mit einer Fülle von kleinen Episoden aus, ohne sie zu überfrachten. Bruegel erreichte dies, indem er oft eine starke Diagonale aufbaute. Der Blick des Betrachters wird gelenkt, es entsteht Bewegung.
Auch in «Die Anbetung …». Das Faszinierende hier: Den titelgebenden und somit vermeintlich zentralen Moment hat der Maler an den linken unteren Bildrand gesetzt. Höchstens schemenhaft sind zwei der Drei Könige und Maria zu erkennen. Leicht übersieht man sie, denn zur Rechten dieser Szene bilden eine gemauerte Brücke und eine Menschenansammlung eine Diagonale. Der Blick schweift automatisch ins Bildzentrum zu einer Gruppe, die sich dort mit Maultieren abmüht. Ein an ein Gebäude gelehnter Balken verweist einen wiederum in die rechte untere Bildhälfte. Dort haben Anwohner ein Loch in den gefrorenen Bach geschlagen und tragen jetzt Wassereimer davon. Jesus ist geboren, doch im Dorf geht der mühselige Alltag weiter.
Die Schau in Winterthur zeigt «Die Anbetung …» im Kontext von weiteren Werken aus Bruegels grafischem Schaffen, thematisiert so die Entwicklung seiner Landschaftsauffassung. Angesprochen wird auch die Aktualisierung biblischen Geschehens für die eigene Gegenwart: Bruegels Bild zeigt nicht etwa Bethlehem, sondern ein flämisches Dorf. Auch die Witterung ist ein Thema. «Die Anbetung …» entstand während der Kleinen Eiszeit, einem ungewöhnlich strengen Winter in Europa.
Schliesslich können sich Ausstellungsbesucher mit der neusten Forschung zu Bruegels Gemälde vertraut machen. Zu sehen sind etwa neue Makroaufnahmen, die das Kunsthistorische Museum Wien anfertigte. Vielleicht fällt einem auf diesen gestochen scharfen Bildern dann auch das Kind am rechten unteren Bildrand auf. Zufrieden rutscht es mit einem Schlitten über das Eis. Zumindest jemand scheint Freude am Winter zu haben.
Das Wunder im Schnee – Pieter Bruegel der Ältere
Sa, 23.11.–So, 1.3.
Sammlung Oskar Reinhart
«Am Römerholz» Winterthur ZH