Eine junge Lehrerin ist mit ihren zwei Kindern und der Schwiegermutter auf der Flucht aus Syrien. Ihr Mann blieb unter Lebensgefahr im Bürgerkrieg zurück, um vom Hausstand zu retten, was zu retten ist. Sie sind auf dem Weg in den Libanon. Das Land hat rund eine Million Menschen aus Syrien aufgenommen, die nicht in Lagern leben, sondern sich anders behelfen müssen, zum Beispiel, indem sie bei entfernten Verwandten und Bekannten unterkommen.
Die Reise endet im Aufnahmezentrum
Das ist ein typisches Flüchtlingsschicksal, wie es in der neuen Ausstellung «Flucht» im Schweizerischen Nationalmuseum in Zürich dargestellt wird. Anhand von fünf individuellen Schicksalen soll das Publikum das Leben der Flüchtlinge ein Stück weit nachvollziehen können. Dafür bekommt man beim Eintritt «Flüchtlingsnotizen» in die Hand gedrückt, die einen nach einem Filmbesuch von Station zu Station führen. Im Einzelfall endet die Reise in einem nachgebildeten Schweizer Aufnahmezentrum, wo die Besucherinnen und Besucher einen Eindruck erhalten, wie die Flüchtenden empfangen werden.
Die absoluten Zahlen illustrieren die Folgen des Syrien-Konflikts: Über elf Millionen Menschen mussten ihre Häuser verlassen, mehr als sechs Millionen von ihnen suchen irgendwo im eigenen Land Zuflucht. «Diese Ausstellung ist didaktisch angelegt», sagt Andrej Abplanalp vom Landesmuseum. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt zahlreicher Körperschaften: vom Staatssekretariat für Migration, der Eidgenössischen Migrationskommission über die Deza bis zum Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen.
Ein anderes, typisches Flüchtlingsschicksal illustriert die Geschichte einer 16-Jährigen, die sich aus dem Südsudan in ein kenianisches Flüchtlingslager durchschlägt. Einen direkten Bezug zur Schweiz hat das Schicksal eines jungen Afghanen, der keinen Flüchtlingsstatus bekommt, aber als vorläufig Aufgenommener im Land bleiben kann.
Schicksale bleiben abstrakt
All diese Geschichten sollen dem Besucher die Fährnisse von Flüchtlingen näherbringen. Klar ist, dass sie zwangsläufig abstrakt bleiben, denn die Gefühlslage Vertriebener lässt sich zwar rational, aber weniger emotional nachvollziehen. So sollen die Besucher im Landesmuseum nicht selber «Flüchtling spielen», aber etwas besser verstehen, unter welchen Nöten diese Menschen leiden.
Flucht
Sa, 29.10.–So, 5.3. Landesmuseum Zürich
Fiktive Erzählungen
«Nur weg aus Syrien»
Mohammed Abdullas leicht gekürzte Geschichte spiegelt das Schicksal zahlreicher Flüchtlinge aus Syrien wider.
Bei einer friedlichen Demonstration gegen die syrische Regierung wurde ich von Sicherheitskräften mit Elektroschocks und Stockschlägen gefoltert. Sie glaubten, ich sei ein Aktivist, und wollten Informationen von mir. Da ich nichts wusste, liess man mich wieder frei. Ich hatte grosse Angst und wollte nur weg aus Syrien. Wir nahmen das Nötigste mit auf die Flucht: ein Handy, einige Kleider, Medikamente sowie unsere Reisepässe.
Wir hätten nie gedacht, dass auch wir einmal flüchten müssen. Ich hatte einen guten Job als Ingenieur, meine Frau war Krankenpflegerin. Unser Sprössling Walid entwickelte sich prächtig, und unsere Tochter Amina genoss trotz ihres Herzfehlers ein beschwerdefreies Leben. Uns fehlte es an nichts: Wir hatten ein Haus, immer genug zu essen und viel Besuch.
Kurz vor der libanesischen Grenze wurden wir von Männern aufgehalten. Sie zielten mit Kalaschnikows auf uns und verlangten für die Weiterfahrt eine grosse Summe Geld. Wir konnten bezahlen, doch sind fast unsere ganzen Ersparnisse weg.
Nachdem wir beim Cousin meiner Frau angekommen waren, liessen wir uns beim UNHCR (UN Refugee Agency) als Flüchtlinge registrieren. Mit dieser finanziellen Unterstützung, unseren letzten Ersparnissen und der Hilfe der Verwandten kamen wir knapp über die Runden. Nach zwei Jahren im Libanon wählte uns das UNHCR für das Resettlement-Programm aus. Denn ich konnte mich im Libanon nicht von den Folgen der Folter erholen. Die medizinische und psychologische Versorgung fehlte, und ich hatte ständig Angst vor einer Festnahme. Wir hatten ja kein Aufenthaltsrecht im Libanon. Zudem verschlechterte sich der Gesundheitszustand meiner Tochter, weil wir uns die Medikamente nicht leisten konnten.
Nachdem wir in der Schweiz einige Wochen in einem grossen Asylzentrum waren, kamen wir gemeinsam mit acht anderen Familien in ein kleineres Zentrum. Da wir bereits anerkannte Flüchtlinge waren, blieben uns weitere Interviews erspart. Auch konnten wir bereits an Sprach- und Integrationskursen teilnehmen. Acht Monate später zogen wir in eine Dreizimmerwohnung, und nach einem viermonatigen Deutsch-Intensivkurs gehen unsere Kinder jetzt zur Schule. Mein Diplom als Elektroingenieur ist in der Schweiz leider nicht anerkannt. Obwohl ich mich hier gerne nützlich machen würde, kann ich keine Arbeit finden. Sobald ich besser Deutsch spreche, möchte ich eine Lehre als Elektrotechniker machen. Meine Frau Batoul darf nicht als Krankenpflegerin arbeiten, aber wenigstens älteren Menschen in der Nachbarschaft beim Einkauf helfen und so ihr Deutsch verbessern.