Verheissungen sind meistens verlockend bunt. So auch die Karte, die das US-Wirtschaftsmagazin «Fortune» 1940 veröffentlichte. «Synthetica – A New Continent of Plastics» heisst sie und zeigt eine Landmasse, die entfernt an Afrika erinnert. Begleitet von einem euphorischen Text über die Zukunft der synthetischen Kunststoffe, sind auf diesem fiktiven Kontinent gänzlich neue Nationalstaaten abgebildet: «Acryl-Styrol», «Petrolia», die «Nylon-Inseln». Bekanntlich können geografische Karten schon mal unsere Sicht auf die Welt prägen. So schien auch «Synthetica» die «Fortune»-Leser auf eine neue Weltordnung einstimmen zu wollen: das Zeitalter des Plastiks!
400 Millionen Tonnen Plastikmüll
Würde man diese Karte heute überarbeiten, müsste sie mit dem Grossen Pazifischen Müllteppich ergänzt werden. Die Insel aus Kunststoffabfall wurde 1997 entdeckt und ist zum Symbol eines der drängendsten Probleme unserer Zeit geworden: Plastik, einst der Stoff der Versprechungen, überflutet die Erde. Gemäss der Uno werden jedes Jahr 400 Millionen Tonnen Plastikmüll produziert. Davon werden aber gerade einmal 9 Prozent wiederverwertet – der Rest landet in der Kehrichtverbrennung, in Deponien und Gewässern.
Die Entwicklungsgeschichte eines mittlerweile kontroversen Materials erzählt nun das Vitra Design Museum im deutschen Weil am Rhein in seiner neuen Ausstellung. «Plastik – Die Welt neu denken» ist multimedial und führt die Besucher von den Vorläufermaterialien über die ersten synthetischen Kunststoffe bis zur heutigen Suche nach Recyclingmethoden und Biokunststoffen. Dabei fragt die Schau: Wie sind wir eigentlich vom Kunststoff abhängig geworden? Und wie kommen wir da wieder raus?
Stoff der grenzenlosen Möglichkeiten
Am Anfang des Parcours herrscht freilich noch Aufbruchsstimmung. Bakelit, der 1907 von Leo Baekeland entwickelte, erste vollsynthetische Kunststoff, wird als «Material mit tausenderlei Einsatzmöglichkeiten» beworben. Und tatsächlich: Lichtschaltern, Steckdosen und Telefonen aus Bakelit ist es zu verdanken, dass die Elektrizität Einzug in die Haushalte hält. Der Bakelit-Slogan wird im Verlauf des 20. Jahrhunderts zur Losung des Kunststoff-Zeitalters schlechthin. Denn spätestens in den Wirtschaftswunderjahren ist Plastik das Material der grenzenlosen Möglichkeiten. Davon zeugen in der Ausstellung Flaschen und Picknickgeschirr, Space-Age-Möbel wie Eero Aarnios «Ball Chair» von 1963 oder Peter Stackpoles Foto zum Artikel «Throwaway Living» in der Zeitschrift «Life». Darauf wirft eine Kleinfamilie allerlei Einwegartikel in die Luft; ekstatisch feiert sich hier die neue Wegwerfgesellschaft selber.
Ein neues Zeitalter scheint angebrochen
Bei allem Befremden, das Kunststoff-Euphorie und Wegwerfmentalität der 50er und 60er heute auslösen – das Vitra Design Museum versucht sich dem Material Plastik differenziert zu nähern. Schliesslich lässt sich kaum verleugnen, dass wir den Kunststoffen etwa im Bereich Medizin viel zu verdanken haben. Und ebenso wenig darf man ausser Acht lassen, dass heute Forscher, Designerinnen und die Zivilgesellschaft viel unternehmen, um der Plastikberge Herr zu werden. Von diesen Bemühungen erzählen mehrere Projekte in der Schau: «The Ocean Clean Up» will Kunststoffabfälle aus den Meeren filtern. Die ETH Zürich forscht am Abbau von Plastik durch Enzyme. Und Ineke Hans hat für ihren Entwurf «Rex Chair» den Materialkreislauf schon mitgedacht. Ihr Stuhl aus Recycling-Plastik kann von den Besitzern zur Reparatur oder Wiederverwertung an den Hersteller zurückgegeben werden. Ein neues Plastik-Zeitalter scheint angebrochen. Geben wir uns ihm mit viel Euphorie hin.
Plastik – Die Welt neu denken
Sa, 26.3.–So, 4.9.
Vitra Design Museum Weil am Rhein (D)