Die Mondlandung von 1969, Foucault und der Film «Zabriskie Point» von Michelangelo Antonioni: Diese scheinbar disparaten Elemente sind in der Installation von Olaf Nicolai zu einer künstlichen Landschaft verwoben. Sie geht einer zentralen Frage seines Schaffens nach: Wie verändert Wissen die Wahrnehmung und umgekehrt? Der in Berlin lebende, international bekannte 56-jährige Künstler entwickelt seine interdisziplinär angelegten Werke aus kulturhistorischen, naturwissenschaftlichen, politischen oder literarischen Referenzen.
Im Entree der Lokremise trifft man auf eine Reihe von 80 Fotografien – alle ähnlich unspektakulär: Man sieht ein Stück grell erleuchteten, sandigen Boden, der sich oben im Nachtschwarz verliert. Eine Vitrine enthält Textblätter, bei denen das meiste verschwommen und das Lesbare kaum aussagekräftig ist: «Foucault … The … a drug …» ist etwa erkennbar. Am Eingang zum Hauptraum präsentiert ein Sockel ein schwarzes Objekt, das man aufheben darf und das bleischwer ist. Dann betritt man Sand und taucht ein in eine dämmrige Szenerie aus Dünen und Kratern – eine Mondlandschaft, wie man sie aus den Medien kennt. Das Gehen ist wacklig und hinterlässt Spuren. Nähert man sich einer der grün leuchtenden Wände, stellt man verblüfft fest, dass der eigene Schatten dort beim Weiterziehen kurz haften bleibt. Eine Halluzination?
Das Rauschhafte ist ein Leitmotiv der Schau. Es kündigt sich im fragmentarischen Text am Eingang an, dem ein Bericht des Historikers Simeon Wade über seinen LSD-Trip mit Michel Foucault im kalifornischen Death Valley zugrunde liegt. Wade hatte den grossen Denker 1975 dafür zum «Zabriskie Point» mitgenommen, zu dem Touristen heute wegen seiner besonderen geologischen Formationen strömen.
20 Tonnen Rheintaler Sand für die Ausstellung
Nicolai dagegen besuchte «Zabriskie Point», weil er Drehplatz einer ekstatischen Szene in Antonionis Film von 1970 war, der heute als Hommage an die Hippie-Bewegung gilt. Die vielfach medialisierte Natur – ein weiteres, zentrales Moment der Schau – hat Nicolai im Blitzlicht seines alten Handys festgehalten, das ihm in der Wüstennacht den Weg leuchtete. Die entstandene Fotoserie spiegelt einen Flecken Erde, der ähnlich wirkt, wie der Astronaut Charles «Pete» Conrad Jr. 1969 den Mond beschrieben hat: «Gottverlassen, aber schön». Das Zitat lieferte den Titel zur Ausstellung «That’s a God-forsaken place; but it’s beautiful, isn’t it?». Mit 20 Tonnen Rheintaler Sand wagt der Künstler schliesslich eine Annäherung an die Landschaft, die Conrad als einer von wenigen Menschen betreten hat. Ausserirdisches ist zudem präsent mit dem sonderbaren schwarzen Objekt: ein Bruchstück eines Meteoriten.
Am Ende des Ausstellungsrundgangs ist klar: Die Aura des Wissens verändert in der Tat die Wahrnehmung und schafft den Kontext, der scheinbar Disparates zu einem wunderlichen, grossen Ganzen fügt.
Ausstellung
Olaf Nicolai – That’s a God-forsaken place; but it’s beautiful, isn’t it?
Bis So, 11.11., Lokremise & Kunstmuseum St. Gallen
Film
Zabriskie Point
Mi, 29.8./Fr, 28.9., 20.30 Kinok Lokremise St. Gallen