Ein einziger Satz reichte, um Victor Papanek zum Geächteten zu machen. «Es gibt Berufe, die mehr Schaden anrichten als der des Industriedesigners, aber viele sind es nicht», schrieb der Gestalter, Autor und Aktivist 1971 in seinem Buch «Design for the Real World». Papanek kritisierte darin sein eigenes Berufsfeld. In seinen Augen waren Designer zu reinen Handlangern einer Wirtschaft geworden, die unaufhörlich überflüssige und kurzlebige Produkte auf den Markt warf. Kurze Zeit nach der Publikation schloss man ihn aus der Gilde der US-amerikanischen Industriedesigner aus.
Papanek wendet sich der Konsumkritik zu
Sein Buch aber wurde ein Erfolg. Bis heute ist es in 23 Sprachen übersetzt worden und zählt zu den wichtigsten Werken der Designtheorie. 20 Jahre nach seinem Tod widmet das Vitra Design Museum im deutschen Weil am Rhein Victor Papanek (1923–1998) nun eine Retrospektive. Eine Installation zeigt den Besuchern seine wichtigsten Thesen im geschichtlichen Kontext. Notizbücher, Briefe, Möbel und Dias führen in sein Leben und Schaffen ein. Viele dieser Exponate stammen aus dem Papanek-Nachlass der Universität für angewandte Kunst in Wien und sind zum ersten Mal zu sehen. Gezeigt werden heutiges Design-Schaffen und Werke von Zeitgenossen, etwa dem Medientheoretiker Marshall McLuhan. Papanek wurde in jüngerer Zeit als Vordenker eines sozialen und ökologischen Designs wiederentdeckt – seine Ansätze sind aktueller denn je.
Papanek war 1939 vor den Nationalsozialisten aus Wien in die USA geflohen. Dort studierte er Industriedesign und Architektur, wirkte gar unter Frank Lloyd Wright. In den 1960ern wandte er sich aber einem neuen Denken zu: Konsumkritik, Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit. In seinen Augen sollten Designer nicht auf marktwirtschaftliche Interessen eingehen und Objekte für privilegierte Minderheiten entwerfen, sondern sich den menschlichen Bedürfnissen widmen. Und zwar auch denjenigen der unterprivilegierten Bevölkerung. Also plädierte Papanek für Partizipation und für do it yourself im Geiste der 1960er.
Die Nutzer sollten in den Designprozess einbezogen werden, und sie sollten die Alltagsobjekte selber einfach und günstig produzieren können. Papanek selber setzte das etwa so um: Den beweglichen Spielplatz «Tetrakaidecahedral» entwickelte er gemeinsam mit Kindern, Eltern und Lehrpersonen. Seine «Living Cubes» konnten die Kunden selber mit wenigen Handgriffen zusammenbauen. Die simplen Schlaf- und Arbeitsstrukturen aus Holz sollten auch in einer schäbigen Wohnung ein Gefühl von persönlichem, wohnlichem Raum vermitteln.
Der Weber baut seinen Webstuhl gleich selber
Mehr als 40 Jahre später trägt eine ganze Gestaltungsrichtung Papaneks Erbe weiter: Social Design. Diese Designerinnen und Designer setzen seine Forderungen um, indem sie für und mit der Gesellschaft gestalten. Sie stellen sich Problemen wie Migration, wachsenden Stadtbevölkerungen, ungleicher Ressourcenverteilung, fehlenden Zukunftschancen. Auf welch kreative Art und Weise sie diese Herausforderungen annehmen, zeigt die Ausstellung «Social Design». Sie findet fast gleichzeitig zur Papanek-Retrospektive im Museum für Gestaltung in Zürich statt.
Zu sehen gibt es zum Beispiel Andreas Möllers Webstuhl «Flying8». Dieser lässt sich ohne grosses handwerkliches Können aus wenigen Holzteilen zusammenbauen. Weberinnen und Weber in 20 Ländern haben sich seit 2009 mit dem «Flying8» eine Lebensgrundlage geschaffen. Der «Solarkiosk» wiederum ermöglicht kleinen Gemeinden in Afrika, sich unabhängig und nachhaltig mit Strom zu versorgen. Überdies ist der Kiosk Arbeitsplatz, Veranstaltungsort und Lagermöglichkeit für Lebensmittel und Medikamente, die gekühlt werden müssen. Und schliesslich das Projekt «Granby Four Streets» von Assemble: Das Kollektiv aus Architekten, Designern und Künstlern wertet seit 2012 zusammen mit den Anwohnern nach und nach das Liverpooler Viertel Toxteth auf. Es renoviert die alten Arbeiterhäuser, schafft öffentliche Treffpunkte, neue Arbeitsmöglichkeiten und unternehmerische Chancen.
Umstrittene Preisvergabe an Kollektiv Assemble
2015 erhielten Assemble für ihr Projekt den renommierten britischen Turner Prize. Diese Preisvergabe kam damals nicht nur gut an – Assemble würden keine Kunst machen, hiess es von vielen Seiten, das Schaffen des Kollektivs sei zu zielgerichtet. Victor Papanek hätte sich wohl darüber gefreut. Er betonte stets, der Design-Prozess müsse geöffnet werden und Kreativität bedeute auch Verantwortung. Die Social Designerinnen und Designer heute sehen das offenbar genauso.
Victor Papanek: The Politics of Design
Sa, 29.9.–So, 10.3.
Vitra Design Museum
Weil am Rhein (D)
Social Design
Fr, 5.10.–So, 3.2.
Museum für Gestaltung Zürich