Bühnen-Kostüme haben bisweilen ihre Tücken. Dem US-amerikanischen Pop-Duo Twenty One Pilots etwa bescherte seine Maskerade unlängst eine kontroverse Debatte. Bei einem Konzert in Belfast waren sie mit Sturmhauben aufgetreten, sogenannten Balaclavas, die Paramilitärs beider Seiten während des Nordirlandkonflikts trugen. Politiker monierten, die Band verherrliche Terrorismus. Unsinn, erwiderten Fans, die Masken stünden für die in Liedern besungene innere Zerrissenheit und Identitätsfindung.
Masken sind komplexe Objekte. Die Balaclava etwa, während des Krimkrieges als Kälteschutz für britische Soldaten entwickelt, wurde im 20. Jahrhundert zur Chiffre für Gewalt und Bedrohung. Um ihre Wirkung weiss auch der kosovarische Künstler Sislej Xhafa. Für seine Performance «Again and Again» liess er Musiker mit aufgesetzten Sturmhauben Samuel Barbers «Adagio for Strings» spielen. Die bedrohliche Anonymität, welche die Streicher ausstrahlen, reibt sich an der emotionalen Intensität des Stücks. Seine Performance wird in Aarau aufgeführt, zur Vernissage der Ausstellung «Maske. In der Kunst der Gegenwart» im Aargauer Kunsthaus.
Faszination und Inspiration
Die Maske hat als kultisches Objekt quer durch die Gesellschaften und Zeiten eine lange Tradition: bei Stammesriten, an der Fasnacht oder im Theater. Ungebrochen ist ihre Faszination. Sie markiert Identitätswechsel, Rollenspiel, Verhüllung oder Schutz. Und sorgt dabei für ein Spannungsverhältnis zwischen Träger und Betrachter. Schliesslich geht es um unsere Wahrnehmung, um die Frage nach echt und falsch. Kein Wunder, waren Masken in der Kunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts omnipräsent. Die Exponenten der klassischen Moderne etwa waren von afrikanischen und ozeanischen Masken angetan: Pablo Picasso liess sich von ihnen zu formalen Experimenten inspirieren. Emil Nolde zu bissigen Gesellschaftsstudien. Und der surrealistische Fotograf Man Ray liess sie für Fotos in den Dialog mit dem menschlichen Gesicht treten.
Wie aber geht die zeitgenössische Kunst mit dem Objekt um? Dies will das Aargauer Kunsthaus mit seiner Ausstellung beantworten. Dafür wurden 36 Künstlerinnen und Künstler aus dem In- und Ausland eingeladen. Zu sehen sind 160 Arbeiten aus den Bereichen Fotografie, Malerei, Installation, Skulptur und Video: mehrheitlich Werke aus den vergangenen zehn Jahren, welche die soziale, politische und kulturelle Bedeutung der Maske zum Thema haben. In Zeiten politischer Umbrüche, neu verhandelter Geschlechteridentitäten und Selbstdarstellung im Internet ist das Objekt allgegenwärtig – als Guy-Fawkes-Maske lugt es aus Protestmassen hervor, als Gesichts-Filter manifestiert es sich auf Social Media. Und bietet so ordentlich Stoff für Analyse und Neubewertung.
Zwischen Amüsement und Unbehagen
Die brasilianische Künstlerin Laura Lima zum Beispiel hat das Konzept Maske von Grund auf neu interpretiert. Ihre Masken aus der Serie «Nomads» zeigen nicht etwa Variationen von menschlichen oder tierischen Gesichtszügen, sondern gemalte Landschaften. Lima fordert so unsere Wahrnehmung heraus und nivelliert die Hierarchien zwischen Mensch, Tier und Natur. Die indische Künstlerin Gauri Gill wiederum liess für «Acts of Appearance» die Bevölkerung eines Dorfes im indischen Bundesstaat Maharashtra mit Pappmaché-Masken posieren. In einem der ärmsten Teile des Landes verleiht sie Alltagssituationen dieser Menschen so eine Spur Magie.
Die polnische Künstlerin Aneta Grzeszykowska spielt in ihrer Serie «Selfie» mit medialer Identität. Die Fotos zeigen Gesichts- und Körperfragmente. Aus Schweinehaut modelliert und zufällig arrangiert, entsteht eine Mischung aus groteskem Selbstporträt und Totenmaske. Demselben Themenkreis widmet sich schliesslich auch der Schaffhauser Olaf Breuning mit «Emojis». In seiner als Tapete aufgezogenen Digital-Collage halten sich Menschen Emojis vors Gesicht. Diese Vehikel der modernen Kommunikation flennen, grinsen, schnauben und blödeln in einer überdrehten Gleichzeitigkeit der Gefühlslagen. Ein Abbild unseres heutigen, digitalen Austausches? Die Betrachter pendeln zwischen Amüsement und Unbehagen. Aber diese Wirkung hatten Masken schon immer.
Maske – In der Kunst der Gegenwart
So, 1.9.–So, 5.1. Aargauer Kunsthaus Aarau