Zum Tanzen gehört, dass sich auflöst, was eben noch gesichert erschien. Grenzen zwischen gesellschaftlichen Gefügen und Körpern werden undeutlich, unsere Wahrnehmung der Zeit verschiebt sich. Denn im Tanz warten Ekstase, Flucht, Verwandlung.
Und manchmal auch der Tod. Im Genre des mittelalterlichen Totentanzes platzt er als Skelett mitten ins Leben und bittet zum Reigen. Seiner Aufforderung können sich weder Bischof und Kaufmann noch Jungfrau und Wiegenkind entziehen – alle müssen mit ihm tanzen, dem Tod entgeht niemand. Als älteste, vollständig erhaltene Darstellung dieser Art in der Schweiz gilt heute der Churer Totentanz. Die 35 Bilder, die um 1543 nach Motiven von Hans Holbein d. J. entstanden, sind nach ihrer Restauration im Domschatzmuseum Chur zu sehen.
Das Thema Tanz in allen Facetten
Das Bündner Kunstmuseum nimmt dessen Neueröffnung zum Ausgangspunkt für eine eigene Ausstellung zum Thema Tanz. «Dance Me to the End of Love. Ein Totentanz», kuratiert von Stephan Kunz und Stefan Zweifel, widmet sich vor allem dem Element der Bewegung. Dabei spannt die Ausstellung einen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart, stellt Gemälde, Videos und kulturhistorische Objekte einander gegenüber und verdeutlicht damit auch, welche Bedeutung das Tanzen als Motiv in der bildenden Kunst hat. Das Genre des Totentanzes etwa kommt im 14. und 15. Jahrhundert auf. Das Sujet des Tanzreigens wiederum findet seinen Weg ab da immer wieder in verschiedene Strömungen der Malerei und Plastik.
Einen neuen Höhepunkt des künstlerischen Interesses am Tanz gibt es Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Gesellschaftstänze wie Tango, Tarantella und Swing werden populär; gleichzeitig entwickelt sich der Ausdruckstanz als eigenständige Kunstform. In dieser Zeit wird der Tanz für Künstler zunächst zum Motiv der Sozialkritik. Später, in den verschiedenen Strömungen der Avantgarde, dient er immer wieder zur Abgrenzung von traditionellen Bilderwelten.
Das Düstere lässt sich nie ganz abkoppeln
Die Schau im Bündner Kunstmuseum verdeutlicht den Einfluss, den die Dynamik, Geschwindigkeit und Lebenslust der Tänze auf die Kunst hat. Die Schweizer Dadaistin und Ausdruckstänzerin Sophie Taeuber-Arp etwa gibt in ihren Linien-Zeichnungen Rhythmen wieder. Bei Jackson Pollock und Yves Klein zeugt die Farbe auf der Leinwand von Bewegung und Ekstase – bei Pollock als expressive Linien, bei Klein als dynamische Körperabdrücke seiner Modelle. Kontemplativ ist Daniel Schmids Film «The Written Face». Für eine Sequenz lässt er den japanischen Tänzer Kazuo Ono im dämmrigen Hafen von Tokio tanzen. Eine Darbietung voller Melancholie.
Ja, das Düstere – es lässt sich doch nie ganz vom Tanz abkoppeln. Im Gemälde «La corde fatale» des Waadtländer Malers Louis Soutter (1871–1942) geben sich schwarze, gesichtslose Figuren einer Art Reigen hin. Unweigerlich erinnert das an mittelalterliche Totentänze. Wo getanzt wird, ist der Tod wohl nie weit.
Dance Me to the End of Love. Ein Totentanz
Sa, 29.8.–So, 22.11. Bündner Kunstmuseum Chur
Domschatz und Todesbilder
Ab Sa, 29.8. Domschatzmuseum Chur