Auch der Himmel ist nur so ordentlich wie seine Bewohner. Herr Notters Wolke gleicht einem Wohnzimmer nach einer Partynacht: Pizzakartons, Chips-packungen und Bierbüchsen sind überall verstreut, seine neue Bekanntschaft Lina Perch liegt mampfend auf dem Boden, und Notter selber fläzt rülpsend in der Sitzecke. Willkommen im Jenseits. Gott, hab Erbarmen …! Ein Abend Mitte März im Haus Centro in Stans, der Verein Theaterwärch probt das Stück «Wolke 97».
Das Gebäude am Rand des Orts war schon Kinderheim, italienisches Kulturzentrum und Bürohaus. Jetzt ist auf dem groben Teppich eines früheren Büros mit gelbem Klebeband eine Probebühne markiert. Und ein paar Stühle doubeln das fehlende Sofa. Das fertige Bühnenbild wird an ein elegantes Hotelzimmer erinnern: Die Komödie der Zürcher Journalistin und Autorin Yvonne Eisenring spielt in einem luxuriösen, aber öden Himmel.
«Ein bisschen mehr Oomph, bitte»
Das Ensemble spielt gerade die vierte Szene durch. Adi Truttmann und Michèle Odermatt unterhalten sich in den Rollen von Simon Notter und Lina Perch über ihre Vorstellungen vom Jenseits. Martina Schwarz enerviert sich als Frau Frélange von der Administration darüber, dass Perch irrtümlich auf Notters Wolke einquartiert wurde. Und Daniel Scherer verbirgt als Engel Ariel seine Abneigung gegen Frélange nur mit Mühe.
Wenig später bespricht Regisseurin Julia Zeier die Szene. Notter und Perch stehen bei ihrer unbeholfenen Verabschiedung zu nahe beieinander. Frau Frélange soll etwas deutlicher zum Publikum spielen. «Wir machen das Ganze nochmals. Aber ein bisschen mehr Oomph, bitte», sagt Zeier. Dann zählt sie ein: «3, 2, 1, Bühne hell …»
Man lacht über Pointen und Patzer
Die Schweizer lieben das Theater. Wie sehr, lässt sich der Taschenstatistik vom Bundesamt für Kultur entnehmen. 2019 spielten über 500 Laiengruppen 4000 Vorstellungen für mehr als 600 000 Zuschauerinnen und Zuschauer. In den Kantonen Zug, Nid- und Obwalden gibt es mehr Theatervereine als Gemeinden. Und das Zentralschweizer Laientheater steht gar auf der Liste der lebendigen Traditionen.
So weit die Fakten. Wen solche nicht beeindrucken, spricht am besten mit jemandem wie Franziska Filliger. «Ich habe als kleines Kind sogar meine ersten Schritte auf einer Bühne gemacht», erzählt die Co-Präsidentin des Vereins Theaterwärch. Wie kann es auch anders sein, wenn schon die Grosseltern und Eltern in Stans Theater machen. «Theater machen» – die 32-Jährige wählt diese Worte bewusst: In einer Laiengruppe zu sein, heisst nicht nur spielen, sondern auch organisieren und mithelfen.
Filliger und ihre Kolleginnen gründeten den Verein vor bald zehn Jahren. Die junge Truppe wollte mehr Neues ausprobieren. Einen Mitmachkrimi haben sie seither aufgeführt, Friedrich Dürrenmatts Stück «Die Physiker» durften sie gar auf Schweizerdeutsch spielen. Eisenrings «Wolke 97» bringen sie jetzt an drei Orten ins Stans als Erstaufführung vors Publikum. Doch an diesem Abend spürt man rasch, dass nicht das Spiel allein diesen Verein ausmacht.
Die Gespräche wirken vertraut, herzlich. Man plaudert über Alltägliches, lacht während der Probe über Pointen und Patzer, diskutiert angeregt über mögliche Verbesserungen. Genau diese familiäre Atmosphäre schätzt Franziska Filliger: «Wir arbeiten sehr intensiv. Dabei entsteht ein Zusammenhalt, der einem Geborgenheit gibt.»
Ausstellung zur Theaterkultur
Das Laientheater als Lebensgefühl. Dies bringt zurzeit auch das Nidwaldner Museum in Stans seinen Besuchern näher. Im Salzmagazin lässt einen die Ausstellung «Alles Theater!» in die einheimische Theaterkultur eintauchen. Ein informativer Teil erzählt die Geschichte von den frühen Passionsspielen übers Kollegi-Theater bis zur Entstehung der bürgerlichen Theaterkultur im 19. Jahrhundert.
Highlight ist jedoch der interaktive Parcours: An der Kasse erhalten Besucher eine Rolle aus dem beliebten Stück «Agnes, die Tochter des Gefangenen» zugeteilt. Im ersten Stock führen einen dann mehrere Stationen vom Einstudieren der Rolle bis zum Auftritt auf einer kleinen Bühne – sofern einen kein Lampenfieber plagt. «Wir wollten die Ausstellung möglichst partizipativ gestalten», sagt Carmen Stirnimann, Leiterin des Nidwaldner Museums. «Die Besucherinnen und Besucher sollen das Theater aktiv erleben können. Und sie sollen spüren, wie viel Herzblut die Mitglieder dieser Gruppen ins Theater stecken.»
Bespielbare Ausstellungsbühne
Spürbar wird dieser Theatergeist im Salzmagazin zweifelsohne. Der dicke Riemenboden, die roten Vorhänge und Kulissen sorgen für eine spannungsvolle Theateratmosphäre. In Videointerviews erzählen Laien von ihrem Theaterfieber. Und an einzelnen Abenden wird die Ausstellungsbühne unter anderem vom Theaterwärch bespielt. Im Haus Centro arbeitet das Ensemble mittlerweile an der nächsten Szene.
Lina Perch und Simon Notter diskutieren über das Schicksal, das sie womöglich auf dieselbe Wolke gebracht hat. Dabei gehen sie dem gelben Klebeband entlang langsam aufeinander zu. Nähern sich da etwa zwei im Himmel an? Kurz darauf bespricht Regisseurin Julia Zeier die packende Szene mit dem Ensemble. Adi Truttmann soll seinen Notter noch stärker wie ein Seiltänzer gehen lassen: «Stell dir vor, du gehst am Rand deiner Wolke wie auf einem schmalen Grat.»
Zeier hat sich ihre Inputs auf pinkfarbene Post-it-Zettelchen notiert. Fünf davon kleben nach wie vor an ihrer linken Hand. Aber bis zur Premiere von «Wolke 97» bleiben ja noch vier Wochen. Julia Zeier zählt aufs Neue ein: «3, 2, 1, hell …»
Ausstellung
Alles Theater! Spiellust auf der Laienbühne
Bis So, 27.10.
Nidwaldner Museum
Salzmagazin Stans NW
Theater
Wolke 97
Fr/Sa, 3.5./4.5., jew. 20.00
Kulturzentrum Senkel Stans
Do, 9.5.–Sa, 11.5.
Fr/Sa, 17.5./18.5.
Jeweils 20.00
Salzmagazin Stans
Mi, 22.5.–Sa, 25.5.
Jeweils 20.00
Theater Stans
www.theaterwaerch.ch