Nilpferde sind gefährlich. Die tonnenschweren Tiere können erstaunlich schnell rennen, sind territorial und schnappen mit ihren grossen Mäulern nach allem, was sie als Bedrohung empfinden. Die Nilpferde von Renate Müller sind da anders. Denen darf man ruhig auf dem Rücken rumturnen, die darf man an den Ohren oder an ihrer breiten Schnauze packen. Das alles erdulden sie mit freundlich funkelnden Augen und einem zufriedenen Lächeln. Renate Müllers Nilpferde sind eben gutmütig.
Wie alle ihre Schöpfungen. Seit Mitte der 1960er-Jahre entwirft die deutsche Spielzeugdesignerin und -produzentin Tiere aus bunten Lederflicken, Holzwolle und Rupfen, einem groben Jutegeflecht. Ein ganzer Zoo aus unverwüstlichen Spielgefährten für Kinder in der frühen Entwicklung oder Kinder mit Behinderung. Familienschätze voller Kindheitserinnerungen Bis heute werden Renate Müllers Krokodil, das Nashorn, der Walfisch oder der Seelöwe weltweit in Kinderkliniken und Kindergärten eingesetzt.
Nächstens bevölkern sie auch das Spielzeug Welten Museum in Basel, wo die Ausstellung «Puppen, Plüsch und Pionierinnengeist» Renate Müller und neun weitere Spielzeugdesignerinnen porträtiert. Anruf bei der Designerin im thüringischen Sonnenberg, wo sie geboren wurde und wo sie noch immer lebt. Gerade erholt sich die 78-Jährige von einer Augenoperation. Etwas Ungeduld schwingt mit, wenn sie vom Genesungsprozess berichtet. Dabei hätte sie doch so viel zu tun! Erst kürzlich erhielt sie wieder zwei Anfragen für die Restauration von Rupfentieren.
Bis heute produziert und flickt Müller die Geschöpfe selber. «Es ist mir wichtig, dass ich die Rupfentiere wenn möglich restaurieren kann und den Besitzern damit einen Wunsch erfülle», sagt sie. «Viele dieser Tiere werden schon in die zweite oder dritte Generation vererbt. Das sind Familienschätze, in denen Kindheitserinnerungen stecken.» Auch für sie selbst sei es etwas Besonderes, die teils Jahrzehnte alten Objekte wieder auf der Werkbank zu haben.
Am Leder und am Rupfen könne sie erkennen, aus welcher Zeit ein Tier stamme. So wollte es der Zufall schon, dass sie einmal drei Nilpferde aus derselben Serie in der Werkstatt hatte. «Ich habe ein Foto von den dreien gemacht und den Besitzern geschickt», erzählt sie begeistert. «Das war wie eine Klassenzusammenkunft.» Materialreste aus der DDR-Produktion Dass Müller ihre Rupfentiere überhaupt noch restaurieren kann, hat auch viel mit ihrer Voraussicht zu tun.
Noch immer besitzt sie nämlich Materialreste aus der DDR-Produktion. Und schon steckt man mitten in ihrer Lebensgeschichte. Wie viele Kinder in der «Spielzeugstadt Sonnenberg» wird auch sie in eine Familie von Spielzeugproduzenten hinein - geboren. Sie studiert an der Fachschule für Spielzeug in Sonnenberg. Noch während ihres Studiums entwickelt sie ihre therapeutischen Spielsachen, die dann im elterlichen Betrieb produziert werden.
1972 wird das Unternehmen verstaatlicht. Müller entwirft über zehn Jahre lang Spielplätze. Nach der Wen - de kauft sie den Familienbetrieb und die Rechte an ihren Ent - würfen zurück. Zudem sichert sie sich einige Rollen Rupfen. «Damals butterte ich mein gan - zes Erspartes rein», erzählt sie. Eine faszinierende Geschichte, die auch Sibille Arnold, Leiterin und Kuratorin des Spiel - zeug Welten Museum Basel, be - eindruckte. «Zuerst fesselten mich natürlich ihre wunderschönen Objekte», sagt Arnold.
«Aber mich faszinierte auch, wie sie Herausforderungen be - gegnete und wie sie bei all ihren Entwürfen immer die Kinder mit Beeinträchtigung im Blick hatte.» Renate Müller durfte also in der Ausstellung «Puppen, Plüsch und Pionierinnengeist» auf keinen Fall fehlen.
Die Frauen hinter den bekannten Spielsachen
Plüschtierpionierin Margarete Steiff (1847–1909) inspirierte Arnold zur Ausstellung. «Ich war beeindruckt von dieser Frau, die trotz körperlicher Beeinträchtigung im 19. Jahrhundert eine so erfolgreiche Firma aufgebaut hat.» Also machte sich die Muse - umsleiterin auf die Suche nach Spielzeugdesignerinnen. Diese Frauen und ihre Entwürfe lernen Besucher in der als Rund - gang angelegten Schau kennen: Käthe Kruse (1883–1968) und ihre Puppen.
Libuse Niklova (1934–1981) und ihre witzigen Spieltiere. Cas Holman und ihre kreativen Baukästen. Oder Caro - line Märklin, die als geschickte Vermarkterin den Spielzeugund Modellbahnhersteller Märklin zum Erfolg brachte. «Mir geht es mit dieser Ausstellung auch darum, zu zeigen, wie viele Frauen hinter vielen bekannten Spielsachen stehen», sagt Sibille Arnold. «Diese Frauen möchte ich sichtbar machen.» Renate Müller hat sich über die Anfrage aus Basel gefreut.
Dabei ist es nicht das erste Mal, dass ihre Entwürfe ausgestellt werden. An der Design Miami Basel oder im New Yorker Muse - um of Modern Art waren sie schon zu sehen. Längst werden sie auch als Designklassiker gehandelt – bisweilen für Tausende von Franken. Bei Renate Müller löst dies zwiespältige Gefühle aus. Es sei schön, als Designerin anerkannt zu werden, sagt sie. «Aber mein Herz schlägt für Kinder. Ich möchte, dass diese Tiere in Kinderhänden bleiben – sie sind fürs Turnen und Klettern und Spasshaben gedacht.»
Rupfentiere auch in der Kinderklinik gefragt
Zum Glück sind ihre Rupfentiere nicht nur Kultobjekte. Im ver - gangenen Jahr etwa konnte die Designerin für eine Kinderklinik in München vier Spielbereiche einrichten. Über Jahre hatte der Klinikleiter dafür Rupfentiere und andere Objekte zusammen - getragen. Krokodil, Walfisch und Nilpferd dienen dort allein den Kindern. Geduldig und unverwüstlich. So sind Renate Müllers Tiere eben.
Puppen, Plüsch und Pionierinnengeist – Frauen im Spielwarendesign
Fr, 8.3.–So, 27.10.
Spielzeug Welten Museum Basel