«Keinem von uns war es erlaubt, ein Buch anzusehen oder zu versuchen, etwas zu lernen.» Mit diesem Zitat einer Sklavin aus Alabama – gedruckt auf eine Löschdecke – wird die Besucherin im Zürcher Strauhof empfangen. Darunter liegt das «American Spelling Book», mit dem sich Sklaven im 19. Jahrhundert heimlich Lesen und Schreiben beibrachten. In der neuen Ausstellung «Satanische Verse und verbotene Bücher» widmet sich das Literaturmuseum Werken, die aus moralischen, politischen oder religiösen Gründen illegal waren.
Dem Reiz des Verbotenen spielerisch auf der Spur
Die katholische Kirche schrieb sogar ein Buch, das andere Bücher verbietet: den «Römischen Index». Das Titelblatt prangt gross an der Wand im Museum: Menschen in altertümlichen Gewändern werfen gehorsam ihre Bücher ins Feuer. Zwei Engel halten ein päpstliches Wappen hoch. Auf der «Verbotsliste» steht zum Beispiel Denis Diderots monumentale «Encyclopédie ». Der Grund: Sie handelt von Naturwissenschaften, Aberglaube und Gotteslästerung. 1966 hoben die Kardinäle des Vatikans die Liste auf.
Sie stellten fest, dass ein Verbot die beste Werbung für ein Buch ist. Diesen Reiz des Verbotenen macht sich der Strauhof spielerisch zunutze. Um die von der Kirche verbannten Skandalromane zu sehen, können neugierige Besucher Kartonscheiben wegschieben, auf denen der Verbotsgrund eines Buches erscheint. Bevor man die nächste Scheibe aufdeckt, kann man raten, um welches Buch es sich handelt.
Philip Sippel, stellvertretender Leiter des Strauhofs, sagt: «Die oberste Kartonschicht dient auch als Triggerwarnung. Wenn jemand keine potenziell verstörende Beschreibung lesen will, enthüllt er die nächste Ebene nicht.» Zu den Skandalromanen zählte der Vatikan das feministische Buch «Das andere Geschlecht » von Simone de Beauvoir genauso wie Vladimir Nabokovs «Lolita».
«Der Strauhof ist ein Ort der Gedankenfreiheit»
Bücher wurden jedoch nicht nur wegen fehlender Frömmigkeit verboten. Auch diktatorische Regimes vernichteten Schriften von unliebsamen Autoren. Auf einem Foto von 1933 sammeln Studenten in der NS-Zeit emotionslos Bücher ein, die später verbrannt werden. Daneben hängen kunstvolle Einbände, auf einem Tisch liegen die verbotenen Originalwerke. Ein Foto in der Ausstellung zeigt eine Bücherverbrennung, die noch nicht so lange her ist. Demonstranten im englischen Bradford zünden die 1988 erschienenen «Satanischen Verse» von Salman Rushdie an. Das Werk wurde wegen Blasphemie-Vorwürfen in Indien verboten, der iranische Präsident forderte den Tod von Rushdie und seinem Verleger.
Mehrere Übersetzer wurden getötet, letzten Sommer verletzte ein Attentäter Rushdie schwer, wie eine Chronologie und ein kurzer Dokumentarfilm zeigen. Das Buch, das in muslimisch geprägten Regionen noch immer stark umstritten ist, liegt in der Originalausgabe auf. «Wir haben uns überlegt, ob das sicher ist, nachdem Rushdie angegriffen wurde. Aber der Strauhof versteht sich als Ort der Gedankenfreiheit. Wo soll man das Buch zeigen, wenn nicht hier?», sagt Sippel. Die bücherverschlingenden Flammen werden in der Ausstellung sinnbildlich von Löschdecken erstickt. Diese stehen neben den ausgestellten Werken Spalier und sind je mit einem Zitat versehen.
Der Clou: Nicht nur der Inhalt war einst illegal, sondern auch die Schrift, in der die Bücher gedruckt wurden. Bei den Nationalsozialisten ist etwa der Satz «Verbrennt die Werke des deutschen Geistes» von Oskar Maria Graf in der da mals verbotenen Frakturschrift verfasst. Die NS-Regierung begründete das Verbot mit einem Ursprung in den sogenannten «Schwabacher Judenlettern».
Solche Feinheiten sorgen für Überraschungen. Und die schlicht gehaltene Ausstellungsgestaltung aus Karton und Baustellenstützen lassen einen in die Atmosphäre eines illegalen Marktes eintauchen, der innert Sekunden abgebaut werden kann, wenn die Polizei kommt. Was in der Schau allerdings fehlt, sind aktuell in der Schweiz verbotene Bücher. Das begründet Philip Sippel mit Persönlichkeitsrechten, die in diesen Werken oft verletzt werden.
Die Schau zeigt die Macht von Büchern
Aus Angst vor schlechtem Einfluss wurden immer wieder auch Kinder- und Jugendbücher aus Bibliotheken entfernt oder umgeschrieben. Die Gründe sind sehr unterschiedlich: Bei Maia Kobabes Buch «Gender Queer», das eine queere Adoleszenzgeschichte erzählt, stiess den Gegnern der offene Umgang mit Sexualität auf. Bei «Pippi Lang- strumpf» von Astrid Lindgren waren es Bezeichnungen, die heute als rassistisch gelten. Im Raum, der jüngere Verbotsforderungen behandelt, schlägt den Besuchern die Cancel-Culture- Debatte als Kakofonie entgegen.
Zum Glück kann der Lärm mittels Kopfhörer gecancelt werden. In einer Audiospur sind Experteninterviews zur Cancel Culture zu hören, in einer anderen Twitter-Beiträge. Auf der dritten Spur hört man einen Dialog über Cancel Culture, geschrieben von einer künstlichen Intelligenz, dem Chatbot ChatGPT. Ein witziger Zug, denn ChatGPT ist gewissermassen auch ein verbotener Autor, zumindest wenn er Studenten die Hausarbeit abnimmt. Sippel betont, der Strauhof werte die Verbote nicht. «Wir wollen vielmehr zeigen, warum es nicht selbstverständlich ist, dass die ausgestellten Bücher heute existieren.» Und dass ihre Lektüre Macht gibt. Oder wie es Schriftsteller Aldous Huxley ausdrückte: «Wer zu lesen versteht, besitzt den Schlüssel zu unerträumten Möglichkeiten.» Kein Wunder, wurde auch dessen Roman «Schöne neue Welt» verboten.
Satanische Verse und verbotene Bücher
Bis So, 21.5. Strauhof Zürich
Begleitende Veranstaltungen:
www.strauhof.ch